Ich freue mich über Ihr Kommen zum diesjährigen Bürgerempfang im Rathaus der Stadt Reutlingen, obwohl er wie jedes Jahr am Feiertag und noch in den Weihnachtsferien stattfindet. Auch dieses Jahr haben mich wieder freundliche Absagen erreicht, weil die Tage „zwischen den Jahren“ gerne auch für einen Kurzurlaub mit der Familie genutzt werden. Ich werde dennoch eine Terminverschiebung nicht ins Auge fassen, weil die nachfolgenden Wochen wie bekannt den vielen weiteren Empfängen anlässlich des neuen Jahres vorbehalten sind. In Reutlingen begegnet man sich halt gerne, Reutlingen ist kommunikativ.
Die Organisation unseres Empfangs folgt dem guten Beispiel der Vorjahre. Wir schenken unseren eigenen Reutlinger Wein von der Achalm aus, der trotz aller Anekdoten immer gern getrunken wird; unsere Hausmeister und Schreiner werden bei den Ausräumarbeiten auch in diesem Jahr von Pro Labore Reutlingen unterstützt, ein Handwerksbetrieb, der arbeitslose Jugendliche betreut und qualifiziert; und wir sind sehr dankbar, auch in diesem Jahr durch großzügige Spenden unterstützt zu werden. Der perfekte Begleiter für unseren Wein und viele anregende Gespräche nach dem Programmteil sind die rund 4.000 Stücke Gebäck und die Wurstwaren, die uns die Vollkornbäckerei Hugo Berger und Deutschlands älteste Metzgerei Göbel wieder einmal kostenlos zur Verfügung gestellt haben. Ein herzliches Dankeschön an die Spender - ich bin mir bewusst, dass die Qualität Ihrer Waren maßgeblich zur Attraktivität des Vormittags beiträgt.
Bei einem „Neujahrs-Apéro“, wie unsere Freunde in Aarau sagen würden, ist es unvermeidlich, den leiblichen Genüssen die geistige Betrachtung voranzustellen. Dabei sollten uns die Worte von Gotthold Ephraim Lessing eine Mahnung sein:
„Beide schaden sich selbst: der zu viel verspricht und der zu viel erwartet.“
Ein gutes Geleitwort auch durch das nächste kommunalpolitische Jahr. Ob es geglückt ist, den Schaden zu vermeiden, lässt sich allerdings erst im Nachhinein gesichert beurteilen.
In diesem Sinne war das letzte Jahr ein gutes, besonders für Reutlingen. Viele Erwartungen konnten übertroffen werden, auch weil die Messlatte teilweise schon nach unten gerutscht war. Hierzu sechs Belege.
- Wer hätte denn in Reutlingen noch vor einem Jahr eine größere Summe Geldes darauf verwettet, dass, eingedenk der besonderen Vorgeschichte dieses Themas, die entscheidende Weichenstellung für den Neubau einer Stadthalle endlich erfolgt?Die Listhalle ist 1937, vor 70 Jahren, erbaut worden. Vor 60 Jahren, 1947, hat man sie nach den Bombenangriffen mit den damals im Bauschutt vorhandenen Materialien wieder hergestellt, damals schon in der erklärten Absicht, ein Provisorium bis zum auch seinerzeit schon unbestritten notwendigen Neubau einer Halle zu schaffen.Und fast auf den Tag genau vor einem Jahr haben das schreckliche Unglück in Bad Reichenhall und die neue Erbebennorm zusätzlich deutlich gemacht, dass die Tage für unser Provisorium gezählt sind.Der Bürgerentscheid im März vergangenen Jahres hat mit einer deutlichen Mehrheit den Auftrag gegeben, die Neuplanungen in Angriff zu nehmen. Ein Auftrag, dem wir unverzüglich nachgekommen sind.Und schon wieder werden zweifelnde Fragen gestellt: Ja wird denn noch was aus der neuen Stadthalle? Man hört ja gar nichts mehr!Die Antwort ist ein eindeutiges Ja. Der nächste große Paukenschlag wird in wenigen Tagen sein, wenn am 15. Januar das Ergebnis des Preisgerichts zum städtebaulichen Ideenwettbewerb für das Bruderhausgelände bekannt gegeben wird. Noch wird keine Aussage darüber getroffen, wie die neue Halle aussehen soll. In diesem ersten Schritt geht es im Wettbewerb darum, wo die neue Halle auf dem Gelände stehen soll, wo die Veranstaltungen im Freien ihren Platz haben werden, wo Fußgänger und Radfahrer traversieren und flanieren, welcher Ersatz für den Steg vor dem Tübinger Tor vorgeschlagen wird.In den beiden darauf folgenden Schritten wird zu klären sein, ob und in welchem Umfang private Partner einbezogen werden und wie dann die Architektur der neuen Halle aussehen soll. Es geht also jetzt Schlag auf Schlag weiter; jeweils, wie versprochen, unter Beteiligung der Öffentlichkeit.Damit es dann einen Bürgerempfang geben kann, bei dem Sie alle selbstverständlich einen Sitzplatz finden.
- „Aus dem Tunnel wird doch nichts mehr...“ Auch dies war im vergangenen Jahr eine in der Stadt noch verbreitete Auffassung. Der Bau einer Umfahrung, um die Innenstadt vom stets wachsenden Verkehr zu entlasten, ist ein ebenfalls lang gehegter Wunsch in Reutlingen. Seit Ende Oktober 2006 wissen wir: der Scheibengipfeltunnel ist in den 5-Jahres-Investitionsplan des Bundes aufgenommen worden. Die vielen Gespräche und Kontakte sind nicht vergebens geblieben. Das bedeutet: die Bagger werden anrollen, wenn auch das konkrete Datum noch nicht festgelegt ist. Ich hoffe sehr, dass die Signale, die auf einen Spatenstich 2008 hinweisen, sich in diesem Jahr verfestigen werden. Damit die Menschen insbesondere in der Oststadt endlich wieder besser schnaufen können. Denn eine Reduzierung der für die Gesundheit so schädlichen Feinstaubbelastung erreichen wir nur mit einer Umfahrung, mit welcher wir den Schwerlastverkehr aus der Stadt heraus bekommen. Für die Netzergänzung durch eine Dietwegtrasse, über die der Gemeinderat bereits 1988 einen Beschluss gefasst hat, werden nun die Untersuchungen eingeleitet und die öffentliche Diskussion hierüber aufgenommen.Dies alles hält uns nicht davon ab, gemeinsam mit Tübingen, dem Regionalverband und den drei Landkreisen der Region die weiteren Planungsschritte für die Realisierung einer Regionalstadtbahn einzufordern. Wie bei allen großen Verkehrsprojekten bedeutet dies erneut das Bohren dicker Bretter und erfordert einen langen Atem.
- Seit Jahren schon wird der Belag in der Wilhelmstraße, stellvertretend für die Erscheinungsform der Innenstadt insgesamt, bemängelt. Und auch hier hatten vielleicht manche schon die Hoffnung aufgegeben, dass sich an dieser Situation noch etwas ändern wird. Doch auch hier weit gefehlt. Im letzten Jahr ist der Sieger des Wettbewerbs zum Altstadtrahmenplan, das Büro Trojan & Trojan, ermittelt worden. Damit ist der Rahmen für Umgestaltungen und Sanierungen in der Innenstadt gesteckt. Seither wird intensiv am konkreten Konzept und am Entwurfsplan für den öffentlichen Raum gearbeitet. Im Februar sollen diese Entwürfe vorgestellt werden. Die erneute Beteiligung der Bürger wird sich im Sommer anschließen. Auch hier geht es also in Kürze weiter. Ich bin, wie vermutlich Sie alle auch, sehr gespannt auf die weiteren Ergebnisse.
- Und wer hätte denn im vergangenen Jahr ernsthaft darauf gewettet, dass Deutschland nicht nur einen umjubelten dritten Platz in der Fußballweltmeisterschaft belegt, sondern sich und den Rest der Welt mit kollektiver Fest- und Feierlaune überrascht? Und wer hätte denn, nach Jahren des Jammerns über den wirtschaftlichen Niedergang in Deutschland, mit dem konjunkturellen Aufschwung seit dem Frühsommer gerechnet? Selbst die Wirtschaftsweisen waren zu Beginn des Jahres noch wesentlich skeptischer. Hoffentlich werden sie mit ihrer Vorhersage, dass die positive konjunkturelle Entwicklung auch in diesem und in den nächsten beiden Jahren anhalten wird, recht behalten. Den „Ausrutscher“ vom letzten Jahr nehmen wir da gerne in Kauf.
- Wer, meine Damen und Herren des Gemeinderates und der Verwaltung, hätte zweifelsfrei damit gerechnet, dass wir den Doppelhaushalt 2007/2008 rechtzeitig, also im Dezember verabschieden? Es ist uns erstmals seit 1999 wieder geglückt, ohne dass die Intensität der Beratungen oder die nach wie vor beispielhafte Information der Öffentlichkeit über das Verfahren und dessen Inhalte darunter gelitten hätten. Die Frage, ob die Hebesätze für die Gewerbesteuer und Grundsteuer angepasst werden sollen, hat alle anderen Themen nahezu überdeckt. Bekanntlich ist hinsichtlich der Hebesatzanpassung ein Kompromiss geschlossen worden; die Anhebung gilt ab 2009. Damit gelingt es uns, nicht nur ein überdurchschnittliches Investitionsprogramm, das auch dem Baugewerbe und damit den Handwerksbetrieben anhaltende Impulse bescheren wird, durchzuführen - insgesamt 124 Mio. bis 2010 -, sondern gleichzeitig auch Schritt für Schritt die Verschuldung abzubauen. Letzteres sind wir den nachkommenden Generationen schuldig. Und ersteres wird dem bereits begonnenen Ausbau unserer Infrastruktur den beabsichtigten Schub verleihen. Der städtische Haushalt setzt seine Schwerpunkte weiterhin bei der Betreuung von Kindern und Schülern, bei der Förderung von Kultur und Bildung, sieht höhere Zuschüsse für den Sport vor und finanziert die bereits skizzierte Entwicklung in der Innenstadt sowie, nicht zu vergessen, in den Ortskernen der Stadtbezirke. Wir peilen bei etlichen Vergleichswerten die überdurchschnittliche Ausstattung an und haben dies teilweise schon erreicht. Reutlingen wird, das zeichnet sich ab, am Ende des aktuellen Finanzierungszeitraumes im Jahr 2010 eine enorme Entwicklung hinter sich gebracht haben.
- Die rechtzeitige Verabschiedung des Haushaltes war auch möglich durch die disziplinierte Beratung der Fraktionen einschließlich der knapp achtstündigen Schlusssitzung. Dabei sind Gemeinderatssitzungen immer wieder auch für Überraschungen gut. Als ich gemeinsam mit der Stadthallenplanung ein Gesamtpaket für Investitionen in Kulturräume vorgeschlagen habe, gestützt durch die Ergebnisse der Kulturkonzeption, waren die Vertreter der Initiative für ein soziokulturelles Zentrum im Foyer U3 sehr skeptisch, ob sie im Dreiklang mit Stadthalle und Theaterzentrum Tonne nicht ins Hintertreffen geraten würden. Nicht nur einmal ist mir gegenüber die Befürchtung geäußert worden, dass wohl zunächst alles andere realisiert werde, bevor man sich an den Umbau des Foyers U3 mache. Auch dies, wie so vieles im vergangenen Jahr, ein Irrtum. Noch vor der Entscheidung über den Ausbau der 2. Spielstätte unseres Theaters Die Tonne - auch hierüber wird in Kürze zu beraten sein - und weit vor einem Baubeschluss über die Stadthalle hat der Gemeinderat ein klares Votum abgegeben. Das soziokulturelle Zentrum wird in diesem Jahr Form gewinnen und Ende des nächsten Jahres in Betrieb gehen können.
Meine Damen und Herren, im letzten Jahr konnten wichtige Weichenstellungen vorgenommen werden. Wir haben nicht zuviel versprochen aber vieles erreicht. In unserem Rucksack für die Zukunft steckt allerhand drin, an dem wir noch basteln und feilen werden müssen. Zur unverzichtbaren Grundausstattung unseres Marschgepäcks, das zeigen die Beispiele insbesondere aus dem vergangenen Jahr, gehören Optimismus, Mut und der Glaube an das Machbare. Wir werden auch in Zukunft nicht immer alles können, was wir wollen. Wir sollten aber nicht darauf verzichten, das zu wollen, was wir können und dabei die Lessing'sche Mahnung nicht vergessen.
Der „Happy-Planet-Index“ 2006 der New Economie Foundation trifft eine Aussage darüber, wo die glücklichsten Menschen leben. Untersucht wurden Zufriedenheit, Lebenserwartung und der Umgang mit der Umwelt. Auf dem 1. Platz landete Vanuatu, ein mir zugegebenermaßen bis dato unbekannter Inselstaat im Südpazifik mit 209.000 Einwohnern. Die Wirtschaft besteht meist aus Landwirtschaft, Fischerei und Tourismus. Deutschland landete auf Platz 81, hinter Österreich (Platz 61) und der Schweiz (Platz 65).
Trotz meiner Begeisterung, Reutlingen voranzubringen, und den klimatisch immer günstigeren Einflussfaktoren, wie dieser Winter bislang eindrücklich belegt, werde ich dem Gemeinderat trotzdem nicht vorschlagen, auf Kokosnussanbau und Fischzucht in der Echaz umzusteigen. Vielleicht gelingt es uns auch so, den Schwung in das neue Jahr mitzunehmen und zur Triebfeder für weiteres Handeln zu machen. Das wünsche ich nicht nur unserer Stadt, sondern uns allen beruflich wie auch persönlich.
Etliche Standortentscheidungen von Firmen in der jüngsten Vergangenheit zugunsten Reutlingens wie auch die Investitionen privater Unternehmer in unsere Stadt dokumentieren, dass an die Zukunft Reutlingens geglaubt wird. Ob sich ein Mensch oder ein Volk glücklich wähnt hat auch damit zu utn, ob Vertruaen in die Zukunft subjektiv gerechtfertigt erscheint.
Ich bedanke mich bei allen, die uns im vergangenen Jahr ihr Vertrauen entgegengebracht und uns in unserer Arbeit unterstützt haben. Ich hoffe weiter auf Sie.
Ich bedanke mich auch bei allen, die zum Gelingen des diesjährigen Bürgerempfangs beitragen. Bei der Württembergischen Philharmonie Reutlingen, deren Bläserquartett traditionell den Bürgerempfang mit klassischer Musik diesmal aus der Spätrenaissance eröffnet hat und mit einem schmissigen „That’s a Plenty“ (davon gibt es jede Menge) die Überleitung vom Programm zu den hoffentlich zahlreichen Gesprächen (plenty!) herstellen wird. Vielen Dank an die Vertreter unseres über die Landesgrenzen hinaus bekannten musikalischen Aushängeschildes Philharmonie Reutlingen.
Es ist mir ein Anliegen, bei Anlässen wie diesem unter Beweis zu stellen, dass die Musikstadt Reutlingen in der Spitze und in der Breite existiert. Vor allem der künstlerische Nachwuchs liegt mir hierbei am Herzen. Ich freue mich deshalb, Ihnen jetzt zwei Schüler des Friedrich-List-Gymnasiums Reutlingen ankündigen zu können, Ulrike Kühn und Sascha Winkler, beide in der gleichen Klasse. Sie werden uns mit zwei US-amerikanischen Jazztiteln verzaubern, die gut zu einem Neujahrsempfang passen.
“Be a clown“ von Cole Porter könnte als Aufforderung verstanden werden, sich trotz der vielen Zwänge in der durchorganisierten Welt unserer hochmodernen Gesellschaft immer wieder die Freiheit zu nehmen, die eigenen Gefühle nicht zu verdrängen und den Humor nicht zu verlieren.
Und wie geschaffen für eine Neujahrsrede ist Gershwins „Someone to watch over me“- ein verständlicher Wunsch zu Beginn eines neuen Jahres mit seinen noch unbekannten Ereignissen; darüber hieraus einer, der auf Reutlingen gut passt, was Gershwin vermutlich nicht ahnte Wacht doch seit dem Mittelalter der Engel auf der Turmspitze der Marienkirche über die Menschen in der Stadt. Kommen Sie bei allen Aktivitäten und Vorhaben gut behütet durchs neue Jahr.
Ich wünsche Ihnen ein gesundes, erfolgreiches 2007 und alles Gute!