- Es gilt das gesprochene Wort -
Rede Oberbürgermeisterin Barbara Bosch
BegrüßungHeute am 6. Januar ist Epiphanias, der Tag des Herrn, so nennen ihn die Evangelischen.
Dreikönigstag sagen die Katholiken und die FDP.
Die Österreicher rechnen ganz praktisch: Heute ist der Weihnachtszwölfer (= 12. Tag nach dem 1. Weihnachtsfeiertag).
Für das bürgerliche Reutlingen ist der heutige Tag ganz pragmatisch der Tag des Bürgerempfangs im Rathaus.
Die Tradition des Festes am 6. Januar geht übrigens zurück bis zur Antike. Bei den Griechen war es Brauch, Dionysos und die Verwandlung von Wasser in Wein zu feiern. Derlei Befähigung sollten Sie allerdings nicht von meinem kommunalpolitischen Amt erwarten. Ich habe deshalb wie in den Vorjahren veranlasst, dass ganz profan Wasser, Reutlinger Apfelsaft und Reutlinger Wein bereit gehalten wird, um die Stimme für die sich nach dem Programmteil anschließenden anregenden Gespräche zu befeuchten. Ich freue mich außerordentlich, dass neben dieser Belohnung für das lange Stehen und Zuhören auch in diesem Jahr wieder Handfestes gereicht werden kann, ermöglicht durch die großzügigen Spenden der beiden renommierten Handwerksbetriebe aus der Wilhelmstraße, der Vollkornbäckerei Hugo Berger, der in Teilen seines Gebäcks die Wurstwaren von Deutschlands ältester Metzgerei Göbel verarbeitet hat. Ihre Unterstützung wird den Bürgerempfang in bewährter Weise vervollkommnen und den Verehrern unseres Reutlinger Weins die schmackhafte Grundlage liefern - herzlichen Dank Ihnen beiden, Herrn Berger und Herrn Göbel.
Unsere Einladungskarte zum heutigen Bürgerempfang ziert ein Motiv der drei Könige,
gestaltet von Karl Langenbacher, Reutlinger Künstler, Literat und Werbegrafiker, der am
7. Februar 100 Jahre alt geworden wäre. Langenbacher hat diese Karte mit den drei Königen - oder den drei Weisen aus dem Morgenland - 1954 für die Textilfirma Stoll entworfen.
Die drei Könige tragen Mäntel aus Wolle in Rot, Grün und Violett, die aus dem Mantelsaum heraus in einem Wollknäuel auslaufen, den jeder König an einem Faden hinter sich herzieht wie eine Schleppe. Eine in der christlichen Ikonografie zugegebenermaßen ungewöhnliche Darstellung, mit der sich wohl auch der Auftraggeber nicht recht anfreunden konnte, schließlich sollen die Strickmaschinen, die heute in alle Welt verkauft werden, Produkte ohne Wollfäden liefern. Die Weihnachtskarte wurde jedenfalls vor 54 Jahren nicht von der Firma versandt, sondern von Langenbacher als private Jahreskarte verwendet. Mir gefielen die drei Könige so gut, dass wir sie in diesem Jahr als offizielle Einladungskarte der Stadt Reutlingen eingesetzt haben. Wir ehren damit den Künstler Karl Langenbacher, der als universeller Kopf seine Zeitgenossen in Bann zog. Wie er das tat, das können Sie ab dem 7. Februar in drei städtischen Ausstellungen in der Stadtbibliothek, im Spendhaus und im Heimatmuseum begutachten, die von Christoph Dohse zusammengestellt wurden.
Da die drei Weisen aus dem Morgenland unbestritten männlicher Natur sind, setze ich mich mit dieser Einladungskarte auch nicht dem Verdacht aus, ein monarchisches Amtsverständnis zu pflegen. Die Queen gehört bekanntlich nach England, die wenigen Anlässe für das Tragen der Amtskette genügen mir vollkommen, zumal eine Krone ohnehin nur Frisur-technische Schwierigkeiten aufwerfen würde, und in der Kommunalpolitik haben wir uns in vorgesehenen Abständen der Wählerschaft zu stellen. Und das ist richtig so.
Und die ist in Reutlingen eine aufgeweckte. Dies zeigt sich schon allein daran, dass sie sich von einem Druckfehler in der Einladungskarte nicht beirren lässt. Der Fehlerteufel hat dort mit dem falschen Wochentag, nämlich dem Samstag, zugeschlagen. Dass Sie heute alle dennoch da sind, beweist, dass Sie mitdenken. Solche Bürger brauchen wir in Reutlingen.
Im vergangenen Jahr ist wiederum Vieles in der Stadt angestoßen und weiterentwickelt, sind viele Weichenstellungen vorgenommen worden. Mit dem Mut zur Lücke nachfolgend ein paar Stichworte.
Wir wissen seit dem letzten Jahr, dass die Stadthalle in einem Bürgerpark stehen wird und haben zuletzt auch über den Architekten für die Freilandplanung entschieden, so dass diese zügig, parallel zum Bau der Stadthalle, vorangetrieben werden kann. Wir befinden uns mitten in den Beratungen über die Frage, ob eine öffentlich-private Partnerschaft für den Bau und/oder Betrieb der neuen Stadthalle vereinbart werden soll. Richtig spannend allerdings wird es, wenn das Preisgericht am Ende seiner Beratungen am 18. und 19. Januar seine Entscheidung bekannt geben wird, welche Architektur die neue Stadthalle bekommen, wie sie also aussehen soll. Daran wird sich, wie wir es in Reutlingen inzwischen gewohnt sind, eine umfangreiche Beteiligung der Öffentlichkeit anschließen. Eine repräsentative Befragung habe ich stets zugesagt und werde wie auch sonst mein Wort halten. Nach den bisherigen Planungen könnte der Gemeinderat im April, spätestens Mai den Baubeschluss fassen. Nach zwei europaweit ausgeschriebenen Wettbewerben, bei welchen wir auch an die lange Verfahrensdauer gebunden waren, kann nun endlich ein Knopf an eine über 60-jährige Debatte gemacht werden. Seit dem provisorischen Wiederaufbau nach dem Kriegsende 1947 wird nämlich an den Neubau einer Stadthalle gedacht. In diesem Jahr wird es also endgültig ernst damit und dann werden alle von Ihnen beim Bürgerempfang einen Sitzplatz finden.
Zweites Stichwort: Familienoffensive Reutlingen. Für einen ebenfalls großen Schub beim geplanten Ausbau der Kinderbetreuung hat der Gemeinderat noch zuletzt durch seine Beschlüsse gesorgt. Familienoffensive Reutlingen - das heißt Gas geben bei der Einrichtung zusätzlicher Plätze in der Ganztages- und Kleinkindbetreuung, mit enormen Auswirkungen auf unseren städtischen Haushalt. Zwar werden Bund und Land Zuschüsse geben, dennoch bleibt ein erheblicher Brocken an den Kommunen hängen. Es gibt kein anderes Politikfeld, in dem wir in dieser Weise jährlich unsere Haushaltsmittel erhöhen. Wir reden insgesamt über Millionenbeträge, und wir tun dies, weil wir von der Notwendigkeit einer verbesserten Kinderbetreuung für den Wirtschaftsstandort und Familienstandort Reutlingen überzeugt sind.
Unter Familienoffensive Reutlingen verstehen wir übrigens nicht nur den beschleunigten Ausbau der Platzzahlen, sondern auch die Unterstützung der betrieblichen Betreuung sowie der integrativen Tageseinrichtungen (mit behinderten und nicht behinderten Kindern) sowie eine Vielfalt pädagogischer Konzepte. Außerdem hat der Gemeinderat in seiner letzten Sitzung 2007 den Startschuss für das Kinder- und Familienzentrum im Ringelbach mit vielen Hilfsangeboten unter einem Dach sowie für neue Bauherrenmodelle auf dem ehemaligen Ypernkasernengelände gegeben, von dem auch junge Familien profitieren können.
All dieses trägt dazu bei, die Attraktivität unserer Stadt zu festigen und zu steigern.
Drittes Stichwort: die Innenstadt. Die Vorbereitungen für eine Sanierung der Innenstadt haben im vergangenen Jahr kräftig an Fahrt zugelegt. Sehr konkret haben sich Bürgerinnen und Bürger in Workshops mit den Vorschlägen für den Bodenbelag in der Wilhelmstraße und anderer Straßen und Plätze beschäftigt. Der Gemeinderat wird nach eingehender Beratung hierüber entscheiden, damit die Bagger anrücken können. Bevor das geschieht, werden wir Anfang des Jahres mit den Einzelhändlern das Baustellenmanagement besprechen. Und mit der Bürgerschaft wollen wir dann in einem weiteren Schritt zum Beispiel über die Zukunft des Marktplatzes diskutieren. Für die Umgestaltung von Straßen, Wegen und Plätzen stehen bekanntlich 7 Mio. Euro bereit.
Die Eröffnung der Markthalle markiert einen weiteren Baustein der Stadtentwicklung am südlichen Ende unserer Altstadt. Das Areal ist ein gelungenes Beispiel dafür, dass die Kooperation von Stadtentwicklung und Stadtplanung sowie privaten Investoren viel bewirken kann und dem allgemeinen Trend zur Verödung der Innenstädte erfolgreich entgegenwirkt. Der anderen Seite der Altstadt, rund um den Bahnhof und das Postgelände, wollen wir uns nach Vorlage des Gutachtens intensiv zuwenden und noch vor der Sommerpause dessen Zukunft diskutieren, wozu bekanntlich auch die Frage nach Möglichkeiten und Grenzen der Ansiedlung eines großflächigen Einzelhandels in der Innenstadt gehört. Wir werden in aller Ruhe und Sachlichkeit diskutieren, ob und ggf. wo und in welcher Größe und Zusammensetzung ein weiterer Shopping Center nach Reutlingen kommt und bis dahin sollten wir möglicher Weise auftauchenden krausen Überlegungen mit großer Gelassenheit begegnen.
Viertes Stichwort: Kultur. Die Umbauarbeiten im Foyer U3 zum Soziokulturellen Zentrum haben begonnen. Wir setzen damit einen weiteren wichtigen Bestandteil unserer Kulturkonzeption um. Über die Zukunft der Planie und der zweiten Spielstätte unseres Stadttheaters Die Tonne werden wir, so hoffe ich, demnächst beraten und entscheiden können. Die Stadthalle, von der ich bereits gesprochen habe, ist bekanntlich ein weiteres Investitionselement unserer Kulturkonzeption.
Fünftes Stichwort: der Sport. Ebenfalls in seiner letzten Sitzung hat der Gemeinderat die Sportstättenplanung 2010 verabschiedet, welche das Ergebnis der Besprechungen und Abstimmungen mit den Reutlinger Sportvereinen darstellt. Die Maßnahmen, welche die Stadt bei ihren Sportanlagen in den kommenden Jahren in Angriff nehmen will, beinhaltet, soweit sie bereits beziffert sind, Investitionen in Höhe von 12,8 Mio. Euro. Diese Sporteinrichtungen stehen den Schulen und den Sportvereinen der Stadt zur Verfügung. Damit stellt Reutlingen erneut unter Beweis, dass es sich auch als Sportstadt versteht. Zusätzlich zu den Investitionen in städtische Sportanlagen erhalten die Vereine Investitionszuschüsse im Rahmen der Sportförderung. In den letzten 10 Jahren sind allein hierfür über 1,8 Mio. Euro direkt an die Vereine ausbezahlt worden. Die Sportförderung bleibt in Reutlingen also auf hohem Niveau.
Die bisher genannten Stichworte umreißen nur einen Teil der Vorhaben, welche das neue und die kommenden Jahre prägen werden. Dies bezieht sich auch auf den städtischen Finanzhaushalt. Man hört allenthalben, aufgrund der guten wirtschaftlichen Entwicklung seien die öffentlichen Kassen gut gefüllt, die Steuereinnahmen sprudelten. Richtig ist, dass die Konjunktur wieder angezogen hat. Das ist überaus erfreulich und dies tut allen gut, den Unternehmen, dem Arbeitsmarkt, der öffentlichen Hand - damit letztlich jeder Bürgerin und jedem Bürger. Allerdings haben die Kommunen enormen Aufholbedarf in vielen Bereichen, und es ist noch lange nicht gesichert, dass den ständig wachsenden Ausgaben insbesondere im Sozialbereich, ich nenne hier nur das Stichwort Kinderbetreuung, dauerhaft auch konjunkturbedingte Mehreinnahmen aus den beiden Haupteinnahmequellen, der Einkommens- und der Gewerbesteuer, gegenüberstehen werden. Hinzu kommt, dass in Reutlingen weitere Höhenflüge bei der Gewerbesteuer aufgrund der Situation einzelner Betriebe nicht erwartet werden können, wir also für letztes und dieses Jahr voraussichtlich bei den Planzahlen bleiben werden. Dennoch bauen wir in Reutlingen Schulden ab und haben uns dies auch für die nächsten Jahre vorgenommen, wozu die Verwaltung selbst durch nicht unbeträchtliche Einsparungen beiträgt. Wenn wir aber die geplanten enormen Investitionen in die Infrastruktur unserer Stadt, von der letztlich alle profitieren werden, in den nächsten fünf Jahren realisieren wollen, dann kann es nicht nur quer über die verschiedenen gesellschaftlichen Gruppierungen ein Bündnis der Forderung nach jeweils Mehr geben, sondern dann muss auch ein Bündnis der Verteilung dieser Lasten auf alle Schultern greifen. Im Hinblick auf den Gegenwert, der durch die Investitionen in die Infrastruktur geschaffen wird, hat der Gemeinderat deshalb, wenn auch mit sehr knapper Mehrheit, die Anpassung des Gewerbesteuerhebesatzes auf ein sehr moderates und mit anderen Städten absolut vergleichbares Niveau ab 2009 beschlossen. Ich weiß, dass sich daran heftige Kritik insbesondere von der Kammervertretung der Wirtschaft entzündet hat, stehe aber (im Hinblick auf die nach den Sommerferien beginnenden Beratungen zum Doppelhaushalt 2009/10) zu dieser Entscheidung, weil sie zum Wohl der Stadt und der Wirtschaft gegenüber vertretbar ist. Wir sind auf diese Einnahmen dringend angewiesen, wenn wir unser Ausbauprogramm wie beschlossen fortsetzen wollen.
Sechstes und letztes Stichwort: Europa. Wer sich nur ein bisschen mit der Geschichte beschäftigt und wachen Blickes auf die Krisenregionen dieser Welt schaut, ermisst die Bedeutung eines geeinten Europas in Frieden, Freiheit und Wohlstand. Die kommunalen Städtepartnerschaften haben es in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg den Völkern, die noch kurz zuvor gegeneinander Krieg geführt hatten, ermöglicht, sich gegenseitig kennen und schätzen zu lernen und wesentlich dazu beigetragen, dass die Europäische Union aufgebaut werden konnte. Die Partnerschaften zwischen europäischen Kommunen gehören zu den wirksamsten und erfolgreichsten kommunalen Aktivitäten für das Gelingen der europäischen Integration. Die Partnerschaften zwischen französischen und deutschen Städten, zweier Völker, die sich über mehrere Kriege als Erzfeinde verstanden haben, haben dabei eine herausragende Rolle eingenommen. Die deutsch-französischen Beziehungen waren und sind das Rückgrat der europäischen Integration. Versöhnung unter den ehemaligen Kriegsgegnern und Sicherung des Friedens in Europa durch Austausch und Begegnung waren die Leitmotive.
Reutlingen und die französische Partnerstadt Roanne haben ihren Beitrag hierzu geleistet. Vorgänger der DFG, der deutsch-französische Club, wurde 1959 gegründet. Bereits 1958 gehörte Reutlingen zu den ersten 40 deutschen Städten, die eine offizielle Partnerschaft mit einer französischen Stadt begründeten. Tausende von Bürgerinnen und Bürgern, vor allem junge Menschen, haben sich über die Jahre besucht und generationsübergreifende Freundschaften geknüpft. Das Jahr 2008 ist demnach auch das Jahr des 50-jährigen Jubiläums der Freundschaft zwischen Roanne und Reutlingen. Der heutige Bürgerempfang ist deshalb musikalisch vollkommen auf Frankreich hin ausgerichtet und bildet insofern den Auftakt in unser Jubiläumsjahr. Das Bläserquartett der Württembergischen Philharmonie Reutlingen, deren Intendanten und die Mitglieder des Stiftungsrates ich an dieser Stelle herzlich begrüße, hat traditionell zu Beginn unseres Bürgerempfangs aufgespielt, das Te Deum von Marc Antoine Charpentier. Sie haben es sicherlich erkannt, es ist seit 1954 die Eurovisionsmelodie.
Seit ich den Bürgerempfang der Stadt Reutlingen verantworte, habe ich darauf geachtet, dass neben den professionellen Musikern auch das musikalische Vereins- und Schulleben unserer Stadt seinen Platz im Programm findet, mit einer Vorliebe für jugendliche Darbietende. Heute hätten deshalb der Kammerchor und das Streichquintett des Johannes-Kepler-Gymnasiums unter der Leitung von Herrn Schauffler und Herrn Stanger aus gegebenem Anlass einen französischen Liedbeitrag vorgetragen. Nun müssen wir aus Krankheitsgründen, die bekanntlich immer kurzfristig kommen, auf diesen Beitrag verzichten. Beste Genesungswünsche von dieser Stelle aus an Herrn Schauffler.
Das Bläserquartett der Württembergischen Philharmonie Reutlingen hat das Stück für ihre Instrumente abgeändert, so dass wir darauf nicht verzichten müssen, und trägt nun aus dem Film „Die Kinder des Monsieur Mathieu“ den Titel „Vois sur ton chemin“ vor.
Das Bläserquartett wird in bewährter Weise nach den Ehrungen auch den musikalischen Abschluss unseres Programms bilden, mit dem bekannten Rondeau von Jean-Joseph Mouret.
Viel Vergnügen.