- Es gilt das gesprochene Wort -
Rede Oberbürgermeisterin Barbara Bosch
Einbringung des Haushaltsentwurf 2011 / 2012 in der Gemeinderatssitzung am 16. Dezember 2010
Sehr geehrte Damen und Herren,
„Euer Herz erschrecke nicht!“ (Joh. 14,1)
Die Jahreslosung 2010 der christlichen Kirchen hätte in diesem Jahr nicht treffender ausfallen können. Der Zuspruch war, lässt man die Ereignisse und die finanziellen Auswirkungen der Krise auch in Reutlingen Revue passieren, so nötig wie noch nie.
Der letzte Doppelhaushalt 2009/2010 wurde im September 2008 eingebracht. Das liegt gerade einmal gut zwei Jahre zurück. Aber diese beiden Jahre hatten es wahrlich in sich. Die weltweite Finanz- und Wirtschaftskrise führte in Deutschland zur tiefsten Rezession der Nachkriegszeit, welche besonders die Industrie getroffen hat. Der Staat musste in einem Umfang rettend eingreifen, wie sich dies Vertreter weder von Politik noch von Wirtschaft zuvor hätten vorstellen können. Das Bruttoinlandsprodukt, die Wirtschaftsleistung des Landes, brach im Vergleich zu 2008 um real 5 % ein. Besonders die Steuereinnahmen aller Gebietskörperschaften, also von Bund, Ländern und Kommunen sowie der EU, gingen dramatisch zurück, wobei in Deutschland allerdings ein erheblicher Teil auch durch zeitgleich erstmals ihre Wirkung entfaltende Steuerrechtsänderungen bedingt war.
In diesen zwei Jahren hat die Welt gelernt, dass in einer globalisierten Weltwirtschaft, in welcher innerhalb von Sekunden Milliarden-Transaktionen durchgeführt werden, einzelne Personen über solche unvorstellbar großen Finanzmittel verfügen, dass ganze Wirtschaftssysteme dabei in die Knie gehen können. Das Finanzgebaren, das die Krise ausgelöst hat, hat zu einem nachhaltigen Vertrauensverlust geführt, der sich auch in der lokalen Politik niederschlägt. Aus virtuellen und undurchsichtig verflochtenen Finanztransaktionen konnte eine ganz reale, weltweite existenzbedrohende Wirtschaftskrise werden. Die Wertevernichtung war katastrophal, und in vielen Ländern leiden die Menschen durch die hohe Arbeitslosigkeit immer noch an den Folgen dieses verantwortungslosen Handelns. Die Asienkrise 1998 und das Platzen der Internetblase an den Börsen nach 2000 waren nichts dagegen. Damals bekamen die öffentlichen Haushalte, so auch in Reutlingen, mit zwei- bis dreijähriger Verzögerung die Folgen zu spüren. Wir starteten darauf hin einen umfangreichen Haushaltskonsolidierungsprozess, der alle Haushalte seither geprägt hat. Nach dem Motto: „Lächle, denn es könnte schlimmer kommen.“ Wir lächelten und konsolidierten – und es kam schlimmer. In der Zwischenzeit konnten wir allerdings seit Anfang 2006 wegen unserer erfolgreichen Sparmaßnahmen und einer sich verbessernden Wirtschaftslage den städtischen Schuldenstand um 25 Mio. € abbauen.
Im September 2008 dann die Insolvenz der Investmentbank Lehman Brothers, die eine Weltkrise ausgelöst hat. Reutlingen mit seinen industriellen Schwerpunkten im Maschinenbau und in der Automation hat die Auswirkungen der globalen Krise besonders stark zu spüren bekommen. Die Steuereinnahmen sackten in 2009 ab, wir mussten mit einer Haushaltssperre reagieren und Schulden machen – wie die meisten Städte. Doch es sollte noch dicker kommen. Aufgrund der weiteren dramatischen Einbrüche verlor der Haushalt 2010 seine Genehmigungsfähigkeit und musste in einem Nachtrag im Mai d. J. neu justiert werden, wobei das Gewerbesteuersoll auf einen Tiefstand festgesetzt wurde. Erfreulicherweise zog die Konjunktur inzwischen wieder an, so dass wir mit einem höheren Abschluss rechnen können – aber immer noch weit unter dem Durchschnitt in der Langzeitbetrachtung liegen werden.
Das weltweit belächelte, weil als antiquiert geltende Modell der sozialen Marktwirtschaft in Deutschland hat in der Krise seine Stärken bewiesen. Instrumente wie die Kurzarbeit und das umsichtige Verhalten von Wirtschaftsführern und Gewerkschaften verhinderten große Entlassungswellen. Dies hat die Unternehmen in den letzten Monaten in die Lage versetzt, wieder massiv durchzustarten. Die Lektion, dass hervorragend ausgebildete Arbeitnehmer zum höchsten Gut unserer heimischen Wirtschaft gehören, war angekommen. Die Welt staunt über das neue deutsche Wirtschaftswunder und die Automobilindustrie vermeldete kürzlich Zahlen, die an das Vorkrisenjahr 2008 anknüpfen.
Reutlingen hat trotz der Krise in den vergangenen beiden Jahren investiert und damit seinen Teil zur Sicherung von Arbeitsplätzen beigetragen – in die Stadtentwicklung, in den Sport, in Schulen, in die Kultur und anderes mehr. Allein 14 Einzelmaßnahmen befinden sich, gefördert durch das Konjunkturprogramm des Bundes, in der energetischen Sanierung oder im Neubau, nämlich 12 Schulen, das Kinder- und Familienzentrum im Ringelbach und die Sanierung des Ratsgebäudes, das wir mit der Sitzung am Dienstag wieder in Betrieb genommen haben.
Die positiven Signale aus der Wirtschaft sind leider keine Entwarnung für die städtischen Finanzen, zumindest nicht in den nächsten beiden Jahren des Doppelhaushaltes. Dies hat im wesentlichen drei Gründe. Zum einen kommt der Aufschwung in der heimischen Wirtschaft in Form von Steuerzahlungen aufgrund der Finanzierungssystematik frühestens mit zweijähriger Verzögerung bei uns an. Zum Zweiten darf nicht vergessen werden, dass über 40 % unserer Gewerbesteuerausfälle eben nicht krisenbedingt sind, sondern ihre Ursache in Steuerrechtsänderungen haben, also in politischen Entscheidungen, die besonders zu Lasten der Kommunen gehen. Dieses Geld kommt nicht wieder. Und zum Dritten kommen auf die Kommunen erhebliche Mehrausgaben für neue Aufgaben zu, über die an anderer Stelle entschieden wird, für die wir aber die Zeche zahlen. Diese Entwicklung beobachten wir seit vielen Jahren. Die Ganztagsbetreuung an den Schulen läuft inzwischen an nahezu 1400 Schulen in Baden-Württemberg immer noch als Modellversuch mit der Folge, dass die Kommunen dies finanzieren müssen. Die Landesregierung weigert sich bislang, dieses unbestrittene und von den Eltern mehrheitlich gewünschte Angebot in das Schulgesetz zu übernehmen, weil das Land dann in der Pflicht wäre. Von der Finanzierung der Schulsozialarbeit hat es sich inzwischen gänzlich zurück gezogen. Der Landkreis als zuständiger Jugendhilfeträger finanziert 40 % davon. Vor erhebliche finanzielle Herausforderungen werden die Kommunen beim erforderlichen Ausbau der Kleinkindbetreuung gestellt. Sie sind nach dem baden-württembergischen Kindertagesbetreuungsgesetz zum Ausbau verpflichtet, allerdings ohne dass das Land einen Ausgleich der finanziellen Mehrbelastungen vorsieht. Das Land weigert sich, das in der Landesverfassung verankerte Konnexitätsprinzip anzuwenden, weil die erweiterte Verpflichtung zur Kleinkindbetreuung ehemals durch Bundesrecht veranlasst worden sei. Eine Auffassung, der die Kommunalen Landesverbände vehement widersprechen. Und die Inklusion, also die gemeinsame Erziehung und Teilhabe von behinderten und nicht behinderten Kindern in Kindergärten und Schulen, wird den Kommunen nochmals gravierende finanzielle Beeinträchtigungen bescheren.
Die Ausgabenseite wird, durch Leistungsgesetze bedingt, also weiterhin sehr dynamisch wachsen, ohne dass die Kommunen daran etwas ändern könnten. Es darf bezweifelt werden, ob der wirtschaftliche Aufschwung eine solche Kraft und Stetigkeit gewinnt, um die notwendigen Finanzmittel hierfür dauerhaft bereit zu stellen. Dies wird nur dann gelingen, wenn Bund und Land die Kommunen bei der Übertragung neuer Aufgaben auch mit der dafür notwendigen Finanzausstattung versehen. Die Sozialausgaben der Städte steigen deutlich stärker als die prognostizierten Steuereinnahmen. Deshalb brauchen die Städte dringend eine nachhaltige Entlastung hierbei. Die Ankündigung des Bundesfinanzministers, die Kommunen mit 4 Mrd. € zu entlasten, indem der Bund die Grundsicherung im Alter vollständig übernimmt, sollte rasch verwirklicht werden. Neue Belastungen der Kommunen durch Bund und Länder darf es ohne finanziellen Ausgleich künftig nicht mehr geben. Außerdem müssen die kommunalen Spitzenverbände verlässlich an der Gesetzgebung und an der Schätzung der Kostenfolgen von Gesetzen beteiligt werden. Diese Forderung ist nicht neu, aber in Anbetracht der wachsenden Aufgabenfülle dringlicher denn je. Steuergeschenke verbieten sich in dieser Lage ohnehin. Die Verschuldung der Kommunen in Deutschland befindet sich auf Rekordniveau. Wenn wir über Schulden Kinderbetreuungseinrichtungen finanzieren, dann bürden wir genau jenen Generationen die finanziellen Lasten auf, für welche wir diese Einrichtungen schaffen. Wenn sich an der bisherigen Situation, dass den Letzten die Hunde beißen, und das sind wir Kommunen, nichts ändert, werden auch blühende Städte wie Reutlingen ruinösen Zeiten entgegen gehen. In anderen Bundesländern kann dieser Trend bereits beobachtet werden. Das wäre das Ende der kommunalen Selbstverwaltung, dem deutschen Erfolgsmodell in Europa.
Wir werden in Reutlingen weiterhin auf Sicht fahren müssen, können uns keine Sonderwünsche leisten. Wir haben in den zurückliegenden Jahren in einem großen Kraftakt der Haushaltskonsolidierung viele Kürzungen und Stellenstreichungen vorgenommen, Mittel eingefroren und gewünschte Vorhaben nicht verwirklicht. Die Auswirkungen der Finanz- und Wirtschaftskrise treffen uns nun vor diesem Hintergrund besonders. Vieles, was in anderen Städten als aktuelle Konsolidierungsmaßnahmen ergriffen wird, haben wir in Reutlingen längst hinter uns. Das macht es umso schwieriger. Gemeinderat und Stadtverwaltung haben sich dennoch dieser Aufgabe frühzeitig und verantwortungsbewusst gestellt. Wissend, dass weitere Einsparbemühungen nicht mehr ohne weiteres zu erreichen sein werden, haben wir uns in zwei Klausurtagungen als Vorbereitung auf diesen Doppelhaushalt intensiv mit Möglichkeiten auseinandergesetzt, das Schiff der städtischen Finanzen zu steuern, ohne den kommunalpolitischen Kurs zu verlieren. Diese Vorgehensweise ist ein Novum in Reutlingen. Wir haben den Haushalt im Detail durchgeforstet, umfangreiche Materialien gewälzt, Analysen und Szenarien diskutiert. Ich bedanke mich aufrichtig bei den Mitgliedern des Gemeinderats für die intensive und offene Diskussion ohne Tabus, ebenso wie bei den Ämtern in unserem Haus, welche die aufwendige Vorarbeit für diese Klausuren engagiert geleistet haben. Dieses Jahr ist in dieser Hinsicht für uns alle ein besonders arbeitsintensives. Erst ein Nachtragshaushalt, dann zwei Klausuren, dann nach einer verkürzten Vorbereitungszeit heute die Einbringung des Doppelhaushalts, dem sich eine gestraffte Beratung im Gemeinderat und Verabschiedung am 24. Februar anschließen wird. Die Novembersteuerschätzung spiegelt das Anziehen der Konjunktur wieder. Das rettende Ufer ist aber noch längst nicht erreicht, das Riesenloch, die Finanzierungslücke, ist nur etwas kleiner geworden – aber weiterhin ein Loch. Das lässt sich am vorliegenden Haushaltsentwurf für 2011 ablesen. Wir müssen von unserem Vermögen 3,8 Mio. € in den laufenden Betrieb stecken, leben als noch einmal von der Substanz. Ab 2012 rechnen wir mit einem besseren Ergebnis. Die Wende schaffen wir allerdings nach Plan erst 2014. Deshalb gilt es, vorläufig weiterhin Maß zu halten.
Mit dem Nachtragshaushalt haben wir die Bremse betätigt, viele Projekte und Vorhaben auf Eis gelegt. Uns bleibt für den kommenden Doppelhaushalt nichts anderes übrig, als vorläufig bei dieser Situation zu bleiben. Das bedeutet: Keine neuen Projekte, keine zusätzlichen Stellen. Zu letzterem gleich noch mehr. Der Haushalt lebt auch vom Prinzip Hoffnung und enthält weiterhin Risiken. Wir haben aber, so meine ich, ein Gleichgewicht gefunden zwischen Kürzungen und Investitionen, um uns wie die Wirtschaftsunternehmen in der Krise zu verhalten: Ohren anlegen, beim Steuern durch die Krise das Ziel nicht aus den Augen verlieren und keine wichtigen Strukturen zerschlagen. Dabei werden wir die soziale Balance achten, wie unser Beschluss im Gemeinderat zur Mittagessensversorgung am letzten Dienstag unterstreicht.
Diese Devise des Maßhaltens gilt zunächst einmal natürlich vor allem auch ins Haus hinein. Nach den Jahren der fortwährenden Konsolidierung wurden für diesen Haushalt viele berechtigte, zum Teil auch schon lange zurückgestellte Wünsche zum Stellenausbau vorgelegt. Sie sind durchweg im Aufgabenzuwachs bei uns Kommunen begründet, auf den ich mehrfach an anderer Stelle schon hingewiesen habe. Die Talsohle, in der wir uns allerdings noch befinden, erlaubt es aus meiner Sicht nicht, innerhalb dieses Doppelhaushalts Stellenmehrungen vorzusehen. Alle Ausbauwünsche sind deshalb zurückgewiesen worden. Mit zwei Ausnahmen: der Fortsetzung unserer Reutlinger Familienoffensive mit 22,5 Stellen für die Kinderbetreuung (bspw. geht das Kinder- und Familienzentrum Ringelbach bald in Betrieb) und jene fünf Stellen, die aufgrund von Gemeinderatsbeschlüssen bei Vergnügungssteuer, Kontrollen bei Waffenbesitzern und zur Überwachung der Parkraumbewirtschaftung notwendig werden, einschließlich einer Stelle im Energiemanagement, weil ich mir davon Einsparungen bei dieser wichtigen Aufgabe erhoffe.
Mehr geht nicht. Bei zusätzlichen Aufgaben, wie die elektronische Steuerakte oder der neue Personalausweis, müssen sich die Ämter ohne zusätzliche personelle oder finanziellen Ressourcen behelfen. Die dringend erforderliche Verstärkung an vielen Stellen im Haus muss sich allerdings im nächsten Haushalt im Stellenplan abbilden, das sind wir unserer Mannschaft schuldig, der ich für ihre Geduld und ihr Mitwirken in dieser Frage dankbar bin. Sie ist es, welche die Belastungen aus dieser Vorgehensweise trägt.
Die Diskussionen in unseren Klausuren mit dem Gemeinderat haben gezeigt, dass viele vermeintlich naheliegenden Ideen in der Praxis daran scheitern, dass die möglichen Kürzungen bereits vorgenommen wurden und weitere Einschnitte Substanzverlust bedeuten würden. Ein Beispiel. Wir haben 14 Aussegnungshallen im Stadtgebiet. Im Hinblick auf unsere Bevölkerungsgröße eine sehr gute Ausstattung. Einige werden nur wenige Male im Jahr genutzt, verursachen aber das ganze Jahr Gebäudeunterhaltskosten. Wir haben in der Klausur offen diskutiert, ob eine Reduzierung der Hallen möglich ist. Schließlich wäre es nicht damit getan, einfach den Schlüssel herum zu drehen und die Hallen dem Verfall zu überlassen. Eine andere Nutzung scheidet aufgrund der Örtlichkeit aus. Ergebnis: Eine Schließung ist nur dann sinnvoll, wenn wir auch die Friedhöfe in der Zahl reduzieren. Kann dies der Bevölkerung in den Stadtbezirken zugemutet werden? Vor dem Hintergrund der sich erholenden Konjunktur mit der Aussicht auf mittelfristige Besserung? Eine Schließung wäre dauerhaft und irreversibel.
Wir haben uns entschieden, jene Strukturen, die wir bislang trotz mehrjähriger Konsolidierung begründet erhalten haben, in dieser Lage nicht zu zerschlagen. Auch aus diesem Grund kann im Gegenzug die angezogene Handbremse, die den Nachtragshaushalt geprägt hat, noch nicht gelockert werden.
Ich will beispielhaft die Sanierung der Wilhelmstraße nennen, welche wir erst in 2012 wieder fortsetzen wollen. Für den Bürgerpark, in welchen die Stadthalle eingebettet sein soll, haben wir bislang nur das Entrée vorgesehen. Einige Institutionen, die wir mit Zuschüssen unterstützen, müssen ihre Personalkostensteigerungen im eigenen Budget auffangen bzw. durch Rücklagenentnahme finanzieren. Das Stadtfest wird mit weniger Geld auskommen müssen. Die auch aufgrund der Beschlussfassung des Gemeinderates im Nachtragshaushalt erneut abgesenkten Planungsmittel für die Stadtentwicklung bedeuten für die Arbeit unserer Ämter eine erhebliche Beschwernis. Weil wir Reutlingen für die Zukunft gut aufstellen wollen, kommt noch mehr Arbeit auf uns zu, bei der Aktivierung von Baulücken (Innenentwicklung vor Außenentwicklung), bei der Umsetzung der Ergebnisse des Empirica-Gutachtens (mehr Wohnraum für junge Familien und von den Firmen dringende gesuchte qualifizierte Arbeitskräfte), bei der Fortführung von Rahmenplänen usw. Nicht unterschätzt werden darf, welchen personellen und finanziellen Aufwand unsere umfangreichen Beteiligungsprozesse verursachen. Mit der selbstverständlichen Beteiligung der Bürgerschaft bei vielen Vorhaben in unserer Stadt sind wir beispielgebend in Baden-Württemberg – und wollen dieses hervorragende Niveau aus guten Gründen halten. Im Doppelhaushalt erwarten wir, dass die Ämter dies überwiegend aus ihren Bordmitteln realisieren. Allein die Planungsmittel beim Stadtplanungsamt sind allerdings gegenüber dem letzten Doppelhaushalt um 40 % gekürzt worden. Auch hier werden wir nachbessern müssen, sobald die wirtschaftliche Lage uns dies ermöglicht. In den Stadtbezirken konnte naturgemäß nicht allen Wünschen nachgegeben werden. Dennoch stellen wir insgesamt den Regler keineswegs auf Null, die Entwicklung geht in der gesamten Stadt weiter.
In allen Stadtbezirken sind Maßnahmen vorgesehen, wenngleich in unterschiedlicher Höhe. Dies hängt nicht nur mit der Größe des jeweiligen Stadtbezirks, sondern auch mit der Tatsache zusammen, dass in manchen Stadtbezirken erst kürzlich umfangreiche Vorhaben realisiert werden konnten, wie der Umbau der Hofschule in Altenburg, die Einweihung des Kindergartens in Reicheneck und des Feuerwehrhauses in Sickenhausen, die Neugestaltung der Ortsmitte in Mittelstadt und Rommelsbach. Auf etlichen Spielplätzen sind neue Spielgeräte vorgesehen, einige Feuerwehrabteilungen erhalten eine bessere Ausstattung, Sportplätze beispielsweise in Betzingen, in Gönningen und in Rommelsbach sind berücksichtigt, die Turn- und Festhalle in Sondelfingen erhält neue Stühle und der Stadtbezirk seinen heißersehnten Buscup, für Ortsentwicklungskonzepte sowie für die mit ehrenamtlichem Engagement geplanten Verbesserungen der jeweiligen Ortsmitte gibt es Haushaltsansätze. Der Kindergarten im Dirnäckerweg in Ohmenhausen ist etatisiert, der Kindergarten An der Halde in Sondelfingen soll durch die GWG realisiert werden.
Nicht nur die Stadtbezirke profitieren von einem erhöhten Mittelansatz für die Erneuerung von Straßen, Gehwegen und Brücken in Höhe von über 1,4 Mio. € in Verwaltungs- und Vermögenshaushalt, damit die notwendigen Instandhaltungs- und Erhaltungsmaßnahmen durchgeführt werden könne. Der Ausbau der Kleinkindbetreuung schlägt allein im Vermögenshaushalt, also der baulichen Seite, mit 2,4 Mio. € zu Buche. Insgesamt enthält der Haushaltsentwurf bis 2011/2012 Bauinvestitionen von knapp 65 Mio. €, einschließlich der Stadthalle. Das sind Aufträge, die Arbeitsplätze überwiegend in unserer Region sichern.
Der Sport profitiert von den Haushaltsmitteln für den bereits im Bau befindlichen Ersatz für die Carl-Diem-Halle sowie Mitteln für die weitere Begleitung der Umsetzung des Sportentwicklungsplanes, wenn auch in bescheidenem Umfang. Eine erste Konsequenz hieraus ist die geplante bewegungsfreundliche Umgestaltung von drei Schulhöfen. Die im Nachtrag 2010 gestrichene Sanierung der Duschen und Umkleiden im Sportpark haben wir vorgemerkt. Für Sicherheit an Schulen ist ein jährlicher Betrag vorgesehen, der Ausbau der Schillerschule zur Ganztagesschule sowie der Ausgleich von Tarifsteigerungen in den Jugendeinrichtungen sind berücksichtigt. Auch die vhs erhält eine Bestandssicherung durch den Ausgleich ihrer Tarif-, Miet- und Nebenkostensteigerungen. Der Jazzclub in der Mitte bekommt einen Zuschuss für das Landesjazzfestival anlässlich des 50-jährigen Bestehens in 2012. Der Konsolidierungsbeitrag von Seiten der Stadtbibliothek wird hoffentlich nach diesem Haushalt nicht mehr notwendig sein. Für die dritte Reutlinger Kulturnacht und das fünfte Festival Kultur vom Rande, beides in 2011, sind wieder Zuschüsse eingestellt. Mit den Zuschüssen an kulturelle Institutionen sichern wir unser hohes Niveau und deren Bestand.
Auch den Klimaschutz verlieren wir nicht aus den Augen. Mittels eines Programms für effiziente Straßenbeleuchtung soll diese Investition im Ergebnis zu einer Reduzierung der Stromkosten und des CO₂-Ausstoßes sorgen. Den Bezug von Ökostrom für alle städtischen Gebäude, ein Alleinstellungsmerkmal unserer Stadt, setzen wir trotz schwieriger Finanzlage fort. Und wir tun noch mehr: Wir haben bis 2014 insgesamt 2 Mio. € eingestellt für Energiesparmaßnahmen in städtischen Gebäuden. Das ist ein klares Bekenntnis zu Umwelt- und Klimaschutz, eine der ganz großen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts. Weil wir uns trotz einer sehr guten Bilanz, die der Öffentlichkeit kürzlich vorgestellt werden konnte, nicht zurücklehnen wollen, haben wir ein integriertes Klimaschutzkonzept in Auftrag gegeben, um uns weitere Ziele zu setzen. Der BVUA hat heute dieser Ausschreibung zugestimmt.
Die aus Kostengründen abgeschaffte Sonntagsreinigung in der Innenstadt soll, auf vielfachen nachvollziehbaren Wunsch, in Teilen wieder eingeführt werden.
Die größten Zuschüsse im Verwaltungshaushalt fließen weiterhin in die Kinderbetreuung, deren Ausbau immer höhere Ausgaben nach sich zieht. Diese Prioritätensetzung wird beibehalten und erfährt dadurch auch in diesem Haushaltsentwurf eine hohe Kontinuität. Die kürzlich dem Gemeinderat vorgestellte Bedarfsplanung hat aufgezeigt, wie wir den bereits erreichten hohen Ausbaustand noch weiter verbessern können, um die für 2013 gesetzten Zielmarge zu erreichen. Über 350.000 zusätzlicher Mittel in beiden Haushaltsjahren an den Tagesmütterverein sollen zusätzlich Anreize schaffen, um das Angebot der Tagesmütter als wichtige Säule in der Betreuung noch flexibler ausbauen zu können. Wir haben uns vorgenommen, die Bedarfsdeckung für Kleinkindbetreuung Ende 2012 auf 34 % und bei der Ganztagesbetreuung auf 20 % zu steigern. Bildung und Schulen bleiben auf Platz 2 unserer Prioritätenliste.
Eine strukturelle Neuausrichtung erhält dieser Haushaltsentwurf durch den Einstieg der städtischen Wohnungsgesellschaft GWG in das Quartiersmanagement. Wir diskutieren derzeit in den Gremien der GWG und der Wohnungsgenossenschaft über ein verstärktes Dienstleistungsangebot in den Wohnquartieren durch z. B. Beratungsangebote für Ältere, Begegnungsmöglichkeiten, Kinderbetreuung und Gestaltung des Umfeldes. Der Gesellschaftsvertrag der GWG lässt ein solches Engagement schon lange zu. Bislang lag der Schwerpunkt jedoch bei der Bereitstellung von sozialverträglichem Wohnraum. Dies soll nun durch eine zeitgemäße Erweiterung des Angebotsspektrums ergänzt werde, wie dies in anderen Städten bereits praktiziert wird. Durch eine engere Verzahnung im Wohnquartier erwarten wir eine qualitative Verbesserung für die Bewohner. Gleichzeitig entlastet die Übernahme von beispielsweise Kinderbetreuungseinrichtungen den städtischen Haushalt.
Im Nachtragshaushalt haben wir im Mai diesen Jahres die aus meiner Sicht längst überfällige Anpassung des Gewerbesteuerhebesatzes und die Anhebung des Grundsteuerhebesatzes beschlossen. Letzteres, um die Investitionen in die Infrastruktur auf alle Schultern zu verteilen. Dass wir uns diese Entscheidung nicht leicht gemacht haben, das belegen die damaligen kontroversen Diskussionen. Ein entscheidendes Argument war, das für eine großstädtische Infrastruktur eben auch großstädtische Preise gezahlt werden müssen. Wir wissen allerdings auch um die Belastungen für die Bürgerinnen und Bürger in unserem Land, die in den Zeiten der Krise angewachsen sind. Die Einigung auf den höheren Gewerbesteuerhebesatz erfolgte in der Überzeugung, dass damit das zarte Pflänzchen der Konjunktur nicht nachteilig beeinflusst wird. Die bisherige Entwicklung hat diese Einschätzung vollauf bestätigt. Weil wir aber innerhalb kürzester Zeit weder auf Bürger noch auf Unternehmen mit weiteren Belastungen zugehen wollen, verzichtet der vorgelegte Haushaltsentwurf auf Erhöhungen der Hebesätze für die Grund- und Gewerbesteuer, wie auf weitere Gebührenerhöhungen für unsere Bürger.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Stadtverwaltung legt Ihnen heute den Entwurf des Doppelhaushalts 2011/2012 vor. Wir haben uns im Gemeinderat darauf verständigt, bereits jetzt im Dezember einen Entwurf zu präsentieren, obwohl in diesem Jahr bereits ein Nachtragshaushalt beraten und verabschiedet werden musste. Für die Verwaltung bedeutete dies eine Straffung der Vorbereitungen auf ein, gemessen am Umfang des Haushaltsentwurfes, bislang nicht gekanntes Maß. Ein Kraftakt ohnegleichen! Wir bitten schon jetzt um Verständnis, wenn die Feinziselierung innerhalb dieses großen Werks an der einen oder anderen Stelle nicht wie gewohnt ausfällt. Auch für die Beratungen im Gemeinderat haben wir uns ein hohes Tempo vorgenommen. Ziel bleibt es laut Beschlussfassung des Gemeinderates, die Verabschiedung des Haushaltes im Februar zu erreichen.
Im Anschluss an die Einbringung des Haushaltsplanentwurfes steht die Verwaltung, wie in den Vorjahren, der interessierten Bürgerschaft für erste Fragen im Foyer, draußen vor dem Saal, zur Verfügung. Wie es seit einigen Jahren in Reutlingen guter Brauch ist, informieren wir die Bürgerschaft in einer Haushaltsbroschüre über wesentliche Daten und Fakten rund um den Doppelhaushalt. Diese Broschüre liegt seit heute druckfrisch vor. Die nächste inhaltliche Auseinandersetzung wird dann in der Generaldebatte am 18. Januar 2011 geführt werden.
Ich danke allen Beschäftigten der Stadtverwaltung Reutlingen, dass sie Tag für Tag eine gute Arbeit für die Bürgerinnen und Bürger unserer Stadt leisten. Die Bürger wissen das zu schätzen. Ich danke allen Beteiligten für den enormen Einsatz, den die Aufstellung des Haushaltsentwurfes uns in verkürzter Zeit abverlangt hat.
Meine sehr geehrten Damen und Herren des Gemeinderates,
Herr Bürgermeister Rist, der jetzt im Anschluss sprechen wird, und ich übergeben den Haushaltsplanentwurf 2011/2012 heute in Ihre Hände.
Ich schließe mit Seneca. Er befand:
„Vollständige Sorglosigkeit und eine unerschütterliche Zuversicht sind das wesentliche eines glücklichen Lebens.“
Nun werden wir als Mandatsträger nicht dafür gewählt, glücklich zu sein. Sorglosigkeit behindert ohnehin eine gute Kommunalpolitik. Zuversicht hingegen ist dafür eine zwingende Voraussetzung. Denn Zuversicht ist Einsicht in Aussicht.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.