- Es gilt das gesprochene Wort -
Rede Oberbürgermeisterin Barbara Bosch in der Sitzung des Gemeinderates am 24.02.2005
Wir werden heute den Satzungsbeschluss über den Doppelhaushalt 2005/2006 treffen. Heute werden die Weichen für dieses und nächstes Jahr gestellt. Nicht nur für die finanzpolitischen Eckwerte, sondern dadurch auch für die kommunalpolitischen Schwerpunkte.
Kinder und Jugend, Schule und Bildung sowie Kultur sollen nach unserer Vorstellung die Aufgabenfelder bleiben, in welche die höchsten Zuschusssummen fließen entgegen der landläufigen Stammtischmeinung, dass hier immer zuerst gekürzt werde.
Der zur Abstimmung stehende Doppelhaushalt ist von einer Informationskampagne in bislang unbekanntem Ausmaß begleitet worden. Wir nutzen dabei das elektronische Medium Internet soweit wie möglich, ohne jene zu vergessen, die sich konventioneller Informationsquellen bedienen.
- Erneut wurde der gesamte Haushaltsentwurf im Internet veröffentlicht, die Lesbarkeit und die Handhabung auch für Laien durch eine entsprechende Suchfunktion komfortabel ermöglicht.
- Darüber hinaus ist der Haushaltsentwurf als Ordner in allen Bezirksämtern, den Filialen der Stadtbibliothek usw. zugänglich.
- Alle Anträge der Fraktionen des Gemeinderates, des Jugendgemeinderates, des Ausländerrates und der Bezirksgemeinderäte sind sehr kurz nach Eingang ebenfalls veröffentlicht worden, gemeinsam mit den Stellungnahmen der Verwaltung; auch die Abstimmungen heute über die Einzelanträge werden wir umgehend veröffentlichen.
- Unsere beim letzten Haushalt erstmals aufgelegte Informationsbroschüre ist intensiv überarbeitet und noch lesbarer für den Laien gemacht und in der Stadt breit gestreut worden; die Rückmeldungen zu dieser Broschüre waren überaus positiv und die Nachfrage groß, so dass wir nachdrucken mussten;
- Neu war die öffentliche Informationsveranstaltung in der Listhalle zum Haushalt, ebenfalls verständlich aufgemacht.
- Zu dieser Informationsveranstaltung waren auch alle Bezirksbürgermeister/-innen, deren Stellvertretungen und die Bezirksgemeinderäte eingeladen; überdies wurden sie in einer gesonderten Veranstaltung vor der Einbringung über die Haushaltssituation informiert.
- Mit dem Gemeinderat ist Einkunft erzielt worden, dass nach Verabschiedung dieses Haushaltes eine Projektgruppe eingerichtet wird, die weitergehende Formen der Bürgerbeteiligung für den kommenden Doppelhaushalt diskutieren soll.
- Der Haushalt selbst ist besser lesbar und verständlicher geworden:
a) Gliederung nach Verantwortungsbereichen (Dezernate, Ämter) statt nach
Unterabschnitten
b) Steuer- und Gebührenübersicht im Haushaltsentwurf enthalten
- Die erstmals durchgeführte Generaldebatte als sogenannte 2. Lesung ermöglichte der Öffentlichkeit, nicht nur bei Einbringung und Verabschiedung des Haushaltes die Haltung des Gemeinderates und seiner Fraktionen kennen zu lernen, sondern während des Verfahrens etwas über die Haltung der Fraktionen und ihre Zielvorstellungen zu erfahren.
- Die Verwaltung hat sich sehr bemüht, durch eigene Mehrarbeit den Fraktionen eine effiziente Arbeit zu ermöglichen:
- Die bislang übliche Antragsfrist für die Fraktion ist von drei auf sieben Wochen verlängert worden, zu Lasten der Arbeitszeit für die Verwaltung (statt 5 ½ Wochen einschließlich Ferien 1 ½ Wochen);
Das ist eine deutliche Standardausweitung, die wir allerdings bei zunehmenden Personalabbau in der Zukunft so nicht halten werden können.
- Das Antragsverfahren ist standardisiert und elektronisch ermöglicht worden.
- Alle Anträge von Institutionen, Vereinen etc. sind in eine übersichtliche Liste mit Querverweisen, ob und in welchem Umfang die Verwaltung diese Anträge berücksichtigt hat und an welcher Stelle präzise sich diese im Haushalt wiederfinden, gebracht und dem Gemeinderat zur Verfügung gestellt worden.
Auch dies ist eine Standardausweitung zu Gunsten von Transparenz und Übersichtlichkeit. Wie in der Vergangenheit auch, benötigt jeder Antrag, politischen Rückhalt im Gemeinderat, um eine Chance für eine entsprechende Beschlussfassung zu haben.
In diese gesamte Generallinie, so viel Transparenz und Nachvollziehbarkeit in den Haushalt und die Haushaltsberatungen zu bringen, fügt sich auch der erstmals vorliegende Eckwertebeschluss ein. Eine solche Beschlussfassung ist in heutiger Situation zwingend notwendig. In früheren Jahren, als die Finanzlage noch eine andere war, hat der Gemeinderat zunächst über die Einzelanträge entschieden und dadurch meist Mehrausgaben beschlossen. In guten Jahren bestanden die finanziellen Auswirkungen für den Haushalt nur darin, dass die aus dem laufenden Betrieb jeweils erwirtschaftete Summe, die in die Rücklagen gestellt wurde, entsprechend größer oder kleiner ausfiel.
Heute stehen wir vor einer gänzlich anderen Situation. Da wir die Ausgaben in unserem Haushalt nicht durch entsprechende Einnahmen decken können, führt jede Mehrausgabe, sofern kein akzeptabler bzw. mehrheitsfähiger Deckungsvorschlag vorhanden ist, unweigerlich in eine Erhöhung der Neuverschuldung. Wir haben deshalb in Abstimmung mit der Mehrheit der Fraktionen den Eckwertebeschluss vor die Entscheidung über die Einzelanträge gestellt, damit der Gemeinderat in voller Kenntnis der Folgen seiner Entscheidungen einen Beschluss treffen kann. So transparent war das Verfahren noch nie. Es macht wie beim privaten Geldbeutel eben einen großen Unterschied, ob für eine Ausgabe das Geld vorhanden ist oder dafür Schulden aufgenommen werden müssen.
Die einzelnen Bestandteile des Eckwertebeschluss klären wesentliche Punkte des finanziellen Rahmens und bringen die Debatte in die richtige Reihenfolge.
1. zunächst zu klären, wie viel Geld wir insgesamt zur Verfügung haben, um es
auszugeben;
2. um dann innerhalb dieses gesteckten Rahmens zu entscheiden, wofür wir das nur
begrenzt vorhandene Geld ausgeben wollen.
Dadurch wird verhindert, dass wir viele Einzelbeschlüsse fassen, uns dann am Schluss der heutigen Debatte aber das Geld fehlt, sie zu finanzieren. Verantwortliches Haushalten kann in heutigen Zeiten nur so aussehen.
Es wird nun mal für die weiteren Beratungen in der Sache von maßgeblicher Bedeutung sein, ob zum Beispiel eine Gewerbesteuerhebesatzerhöhung kommen wird oder nicht.
Der Haushaltsentwurf der Verwaltung enthält bekanntlich keinen Vorschlag zur Erhöhung des Hebesatzes. Ich bleibe damit meiner grundsätzlichen Haltung treu, die ich bei der Einbringung des Haushaltes 2004 und des vorliegenden Entwurfs beides Mal deutlich zum Ausdruck gebracht habe. Ich spreche mich nachdrücklich in dieser Frage für antizyklisches Verhalten aus, soll heißen, in wirtschaftlich stabileren Zeiten können die Unternehmen mit einer moderaten Hebesatzerhöhung belastet werden, wodurch die Stadt ein Polster auch für schlechte Zeiten schaffen kann. Dies wird verknüpft mit der erklärten Absicht, dann in schlechten Zeiten die Wirtschaft nicht weiter zu belasten.
Bei der Einbringung des Haushaltes 2004 hatte ich erklärt, warum ich von dieser grundsätzlichen Haltung notgedrungen abweichen musste. Wir standen damals mit dem Haushalt sozusagen direkt am Abgrund mit dem Blick in die Tiefe, weil wir Gefahr liefen, unseren Haushalt nicht genehmigt zu bekommen - mit allen Folgen für die kommunale Hoheit und die Freiwilligkeitsleistungen in der Stadt.
Aufgrund der unerwartet hohen Gewerbesteuereinnahmen, die sich im vergangenen Jahr auf einem Rekordniveau befanden, und die wir folglich auch in den beiden kommenden Jahren höher angesetzt haben als ursprünglich vorgesehen, stellt sich unsere Haushaltslage im Einnahmenbereich anders dar. Wir stehen nicht mehr am Abgrund, sondern einen Schritt zurück. Mit anderen Worten: Die Genehmigungsfähigkeit des Haushaltes ist zwar nicht gefährdet, die Finanzlage insgesamt aber weiterhin bedenklich.
Deshalb in diesem Haushaltsentwurf kein Vorschlag der Verwaltung zur Hebesatzerhöhung. Ich werde aber auch in künftigen Haushaltsdebatten meiner grundsätzlichen Überzeugung treu bleiben und, wie angekündigt, zu gegebener Zeit eine Hebesatzanhebung vorschlagen, vor allem wenn weitere erhebliche Investitionen in die Infrastruktur Reutlingens anstehen.
Bei der Beurteilung der Gesamtlage darf nicht vergessen werden, dass wir den Ausgleich nur dadurch erreicht haben, dass wir auf der Ausgabenseite weiterhin enormen Sparwillen gezeigt und die Konsolidierung weiter vorangebracht haben. Im Klartext: Die Einsparungen und Kürzungen im Doppelhaushalt wird in erster Linie erneut die Verwaltung auffangen müssen, und zwar u. a. durch erhebliche Kürzungen im Personalbereich. Wir reden also von umfangreichen Stellenstreichungen in den nächsten beiden Jahren. Ich betone noch einmal, dass dies ohne Standardabsenkung, ohne Rückbau von städtischen Angeboten und Dienstleistungen nicht gehen wird. Ich wiederhole aus meiner Einbringungsrede: Wer A sagt, muss auch zu B stehen.
Die verbesserte Finanzsituation gegenüber der Einbringung des Haushaltes im November vergangenen Jahres, welche sich in der sogenannten Änderungsliste niederschlägt, resultieren im Haushaltsjahr 2005 in erster Linie aus den Verbesserungen aus dem sogenannten Finanzausgleich, im Haushaltsjahr 2006 aus den erhöhten Gewerbesteuereinnahmen 2004. Wir konnten dadurch erfreulicherweise die geplante Kreditaufnahme für die beiden Haushaltsjahre deutlich senken, was unserem finanzpolitischen Ziel, die hohe Verschuldung mittelfristig wieder abzubauen, entgegen kommt. Aber: Es kann keine Entwarnung gegeben werden. Auch der Doppelhaushalt 2005/2006 kann nur durch eine Erhöhung der Kreditaufnahme finanziert werden. So lange wir Schulden machen müssen, und die gesetzlich vorgeschriebene Zuführung in den Vermögenshaushalt nicht erwirtschaften können, so lange ist eisernes Haushalten weiterhin angesagt.
Wir können leider nicht darauf hoffen, dass sich die Finanzlage der Kommunen in absehbarer Zeit deutlich strukturell wieder verbessern wird. Deshalb wird uns die Entscheidung, ob wir eine Stadthalle bauen wollen, auch in fünf Jahren nicht leichter fallen. Im Gegenteil, in fünf Jahren ist die Landesmesse auf den Fildern mit einem umfangreichen und differenzierten Raumangebot in Betrieb gegangen. Veranstaltungen, die eigentlich nach Reutlingen gehörten, und derzeit aufgrund der Raumsituation hier nicht stattfinden, werden sich dort etabliert haben und nicht mehr nach Reutlingen zurückzuholen sein. Es ist zwar schwerer zu vermitteln, aber in der Verantwortung für die Gesamtentwicklung dieser Stadt folgerichtig, dass wir uns jetzt Gedanken machen, ob und wie es mit einer Stadthalle weitergehen könnte. Die Vorgehensweise ist eine völlig andere als damals beim Kultur- und Kongresszentrum. Wir stellen zunächst die Frage, welche Räume und welche Unterstützung braucht Kultur insgesamt in der Stadt, und werden in diesem Zusammenhang auch eine Aussage zum räumlichen Bedarf hinsichtlich einer neuen Stadthalle bekommen. Diese Fragen werden bekanntlich innerhalb der derzeit in Arbeit befindlichen Kulturkonzeption geklärt, die bis Ende des Jahres vorliegen soll. Wir behalten also das Gesamte im Blick.
Die entscheidende weitere Frage ist jedoch: Können wir uns eine Stadthalle leisten?
Die Stadt Reutlingen hat in der Vergangenheit über viele Jahre hinweg Geld angespart, um eine neue Stadthalle zu finanzieren. Dieses Geld ist auch nach wie vor durch eine Beschlussfassung des Gemeinderates hierfür vorgesehen. Ich meine, es ist auch vor dem Hintergrund der öffentlichen Diskussion folgerichtig, im Verlaufe dieses Jahres klären zu lassen, was für eine Halle wir für das vorhandene Geld bekommen können. Erst wenn wir wissen, ob die hierfür vorgesehenen Rücklagen ausreichen, um eine Stadthalle in dem Zuschnitt, wie wir sie benötigen, zu bauen, können wir doch über das Weitere entscheiden. Diese Frage kann man aber nicht so nebenbei beantworten, sondern wir müssen, und so verstehe ich unsere Hausaufgabe, ein Finanzierungskonzept vorschlagen, auch unter Berücksichtigung heutiger zeitgemäßer Finanzierungsmodelle. Die Bevölkerung wird, dass habe ich immer zugesagt, dazu befragt, und der Gemeinderat wird dann entscheiden, ob wir mit dem vorhandenen Geld den Neubau einer Stadthalle angehen wollen oder ob wir es sein lassen müssen und im Gegenzug dafür aber in den nächsten Jahren Sanierungen in der Listhalle vornehmen.
Die Erklärung dieser Fragen soll parallel zur Erarbeitung der Kulturkonzeption entwickelt werden, so dass wir am Ende des Jahres uns darüber im Klaren sein können, wie es weitergeht.
Es geht also nicht darum, den Bau einer Stadthalle über eine noch höhere Verschuldung zu finanzieren. Ich bleibe beim finanzpolitischen Ziel, wie bei der Haushaltseinbringung formuliert: Rückführung der Verschuldung beginnend mit dem Haushaltsjahr 2007.