- Es gilt das gesprochene Wort -
Rede Oberbürgermeisterin Barbara Bosch zum Amtsantritt
- Meine Herren Abgeordneten,
- sehr geehrter Herr Regierungspräsident,
- sehr geehrter Herr Kreisverwaltungsdirektor,
- liebe Kollegen aus den Nachbarstädten und -gemeinden,
- liebe ehemalige Kollegen aus Fellbach,
- verehrte Gäste aus der Partnerstadt Roanne,
- sehr geehrter Ehrenbürger und geschätzter Vorgänger im Amt, Herr Dr. Oechsle,
- werte Mitglieder des Gemeinderates und der Bezirksgemeinderäte,
- liebe Mitstreiter und Mitstreiterinnen aus dem Rathaus,
- meine Damen und Herren,
- liebe Reutlingerinnen und Reutlinger!
„Im Ganzen sind die Reutlinger besser als ihr Ruf, nach welchem es zwar „keine Sünde, aber eine Schande“ ist, von Reutlingen zu sein. Freilich die Grazien sind an ihrer Wiege nicht gestanden und auch die Musen nicht - wohl aber die Demokratie, die keinen Adel aufkommen ließ - Anmut, holde Sitte, edle Lebensauffassung, Sinn fürs Ideale, speziell Ästhetische fehlt den Einheimischen, auch den Reicheren, so ziemlich, selbst dem weiblichen Geschlecht,...Speziell das grobe hergesprochene Schwäbisch wirkt aus dem Munde von Damen in hoch eleganter Toilette höchst enttäuschend, mit geradezu vernichtender Komik. ...
...kein Kirchenliederdichter ist aus Reutlingen hervorgegangen,...nicht ein Gelehrter, ein Nationalökonom vielmehr, überdies ein renitenter, demokratisch angehauchter, ist das Höchste, was Reutlingen in den letzten Jahrhunderten hervorgebracht hat. ...
Auf der anderen Seite ist aber auch ein tüchtiger Kern in der hiesigen Einwohnerschaft..., eine große Genügsamkeit, eine Einfachheit der Lebensweise bis in die besseren Klassen hinein, die dem Luxus nur zu wenig frönen, endlich eine gewisse Ehrenhaftigkeit bei den
mittleren und besseren Klassen...“
Wo bin ich denn da hingeraten - könnte man fragen, wenn die Formulierungen im Text erstens nicht darauf verwiesen, dass es sich um eine historische Quelle, nämlich einem Pfarrbericht von 1883 handelt. Zweitens wissen wir alle, dass historische Quellen nicht ohne ihr geistiges Umfeld gewertet werden dürfen. Heute mag man den Reutlingern die damalige kritische Haltung der weltlichen und kirchlichen Obrigkeit eher als Beweis besonderer Charakterstärke auslegen, waren sie doch mit ihrer Bodenständigkeit und ihrem aus Handel und Gewerbe entwickelten Wohlstand einerseits und ihrem aus alter reichsstädtischer Tradition abgeleitetem Selbstbewusstsein andererseits bei dieser Obrigkeit nicht immer wohl gelitten.
Ich begrüße Sie alle auf das Herzlichste. Ich freue mich über jeden Einzelnen von Ihnen, der heute Abend aus persönlichen oder beruflichen Gründen hierher gekommen ist. Weiß ich doch, dass die erfolgreiche Arbeit auf dem Rathaus nicht möglich wäre ohne eine gute Zusammenarbeit mit Stadträten und Bezirksgemeinderäten, Kirchen, Vereinen, Organisationen, Behörden und - der Bürgerschaft. Die Amtseinsetzung findet auf meinen Wunsch in der Listhalle statt, damit möglich viele Bürgerinnen und Bürger dabei sein können, damit der formelle Akt eingebettet werden kann in einen Bürgerempfang. Wir können die anstehenden Probleme nur dann meistern, wenn wir möglichst oft das Gespräch miteinander suchen und in einer Atmosphäre gegenseitigen Verstehens und Vertrauens begegnen. Dies schließt kontroverse Debatten übrigens überhaupt nicht aus. Sie sind in Zeiten, in denen es keine einfache Antworten auf schwierige Fragen gibt, geradezu notwendig.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Wahlanfechtung hat dazu geführt, dass ich beinahe acht Monate warten musste, bis ich in das Amt eingeführt werde. Der Vorteil ist, dass ich mich heute nicht darauf beschränken muss, allgemeine Zielsetzungen zu formulieren, sondern bereits auf konkrete Erfahrungen und die ersten Schritte in meinem neuen Amt verweisen kann.
Vorneweg will ich - als Neu-Reutlingerin - meine Eindrücke von unserer Stadt wiedergeben. Reutlingen ist eine vitale Stadt mit bedeutsamer Geschichte, die sich heute noch erspüren und in der Altstadt ablesen lässt, ein für die Region bedeutsames Wirtschaftszentrum mit einem manchmal unterschätzten kulturellen Angebot. Welche Vielfalt Reutlingen hier zu bieten hat, wird heute Abend exemplarisch an den künstlerischen Beiträgen deutlich - wobei ich jetzt ausdrücklich nicht meine Rede meine. Mit den Voices trägt der Jazzchor eines Reutlinger Vereins, dem Liederkranz, musikalisch-beschwingt zum Gelingen des Abends bei. Und mit einem humorvollen Beitrag von Schauspielern unseres Stadttheaters Die Tonne wird die Amtseinsetzung abgerundet. Allen Künstlern dankeschön hierfür. Die Tonne wird das offizielle Programm des heutigen Abends beschließen. Damit endet dann auch die öffentliche Sitzung des Gemeinderats. Sie sind im Anschluss daran gut schwäbisch bei Wein und Zopf zum gemütlichen Teil des Abends herzlich eingeladen.
Doch nun zurück zu Reutlingen. Es praktiziert die gute Nachbarschaft in vielen konkreten Projekten mit den Nachbarkommunen und ist als Oberzentrum gemeinsam mit Tübingen Lokomotive für die Entwicklung in der Region Neckar-Alb, hat eine kantig-sympathische und selbstbewusste Bürgerschaft, die bezüglich ihres Wohnortes zwischen sehr urbanen und eher ländlichen Strukturen wählen kann, hat ein beachtliches Vereinsleben und ist eingebettet in eine wunderschöne Landschaft.
Wenn nun die städtischen Finanzen uns nicht so sehr die Sorgenfalten auf die Stirn treiben müssten, man könnte es kaum besser treffen.
Ich freue mich, durch das Votum der Bürgerschaft meinen Lebensmittelpunkt nun in Reutlingen zu haben, und bedanke mich bei allen außerhalb und innerhalb des Rathauses für die herzliche und kooperationsbereite Aufnahme. Bei meinem Start habe ich in der Verwaltung eine engagierte und für Veränderungen offene Mannschaft angetroffen. Für die von der ersten Stunde an gewährte Unterstützung besonders auch durch die Bürgermeisterkollegen und meinen persönlichen Stab bin ich sehr dankbar.
Die Reutlinger haben es heutzutage nicht nötig, irgendeinen Ruf zurecht zu rücken. Mit einer Ausnahme vielleicht, bei der der Ruf allerdings auch sehr gepflegt wird: dem Reutlinger Wein. Unter am Rande der Schwäbischen Alb schwierigen Bedingungen mühsam und zwischenzeitlich nur noch in kleinen Mengen großgezogen, hat er mir immerhin bei noch keiner Gelegenheit das berüchtigte Loch im Magen verursacht. Deshalb kann ich auch keine vergleichende Aussage zum Tübinger Wein treffen, weil ich diesen zum Schließen desselben noch nicht einnehmen musste.
Magendrücken könnte da schon viel mehr unsere aktuelle Haushaltslage verursachen. In meiner nur knapp achtmonatigen Amtszeit beschäftigt sich der Gemeinderat bereits mit dem dritten Haushalt. Wir befinden uns in der schwersten Krise seit dem Zweiten Weltkrieg. Selbst jene kommunalen Aufgabenfelder, welche in unserem derzeit zur Beratung anstehenden Haushaltsentwurf für das Jahr 2004 als prioritär behandelt werden, müssen erhebliche Sparbeiträge zur Konsolidierung leisten. Die nächsten Haushaltsjahre werden weiter von diesem Konsolidierungskurs geprägt sein. Reutlingen wird aus dieser Phase verändert herausgehen. Vieles von dem, was heute noch selbstverständlich von Seiten der Kommune geleistet oder unterstützt wird, wird es so in Zukunft nicht mehr geben können. Man wird dies in allen gesellschaftlichen Feldern bemerken; keiner kann die Hoffnung haben, unbeeinträchtigt davonzukommen.
Ich habe deshalb in meiner Haushaltsrede in der letzten Woche vom notwenigen Paradigmenwechsel gesprochen, der Neuausrichtung unserer Sichtweisen. Der alte Fürsorgestaat ist an seine Grenzen gestoßen. An seine Stelle muss eine Zivilgesellschaft treten, in der die Partner öffentliche Hand, Bürgerschaft und Wirtschaft solidarisch zu ihrer Aufgabe stehen und sich einbringen. Ich betone noch einmal: Ich bin davon überzeugt, dass wir noch nicht alle gesellschaftlichen Instrumente ausgereizt haben. Der Solidargedanke kann greifen und erstaunliche Reserven hervorbringen. Wir müssen ihn
allerdings einfordern - und fördern.
Die ersten Monate meiner Amtszeit waren wie erwartet arbeitsreich, und die Prognose fällt nicht schwer, dass es in ähnlicher Weise weitergehen wird. Nach dem Kassensturz gleich zu Beginn meiner Amtszeit und den beiden Nachtragshaushalten befinden wir uns momentan in den Beratungen für den Haushalt 2004. Gemeinderat und Oberbürgermeister/in bilden gemeinsam ein Kollegialorgan, und ich versichere dem Gemeinderat gern meine Bereitschaft, weiterhin mit allen Fraktionen und Mitgliedern vertrauensvoll zusammenarbeiten zu wollen. Ich nehme Ihre Überlegungen, oftmals in die Form eines Antrags gekleidet, als Beiträge zu den Diskussionen ernst. Deshalb war es mir auch ein Anliegen, alle Altanträge der vergangenen Jahre sammeln und sichten zu lassen und diese bis Ende des Jahres abzuarbeiten.
Die Erledigung vieler Themen konnte, wenn noch nicht abgeschlossen, so doch auf den Weg gebracht werden. Ich denke hierbei an die zum Teil lange geführten Diskussionen über die Gründung der Eigenbetriebe Technische Betriebsdienste und Stadtentwässerung sowie über die Standortagentur für die Region, welche noch im Dezember in Reutlingen gegründet werden wird. Die interkommunale Zusammenarbeit konnte fortgesetzt und um einige Punkte erweitert werden. Das vorgelegte Konzept zur Sauberkeit in der Stadt beinhaltet einen Maßnahmenkatalog, über dessen Realisierung zum Teil erst noch in den Haushaltsberatungen entschieden werden muss. Mit dem Abriss der Echazpassage schaffen wir die notwendige Voraussetzung für die Neuüberplanung des Bruderhausgeländes zu Zeiten, in denen wir noch Zuschüsse dafür erhalten. Die Innenstadtentwicklung befindet sich bereits seit einiger Zeit in vielen Arbeitskreisen unter Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern in der Diskussion. Die Stadtmarketing GmbH hat das Thema „Leerstände“ bei Einzelhandelsgeschäften aufgegriffen und erörtert in einem Arbeitskreis mit Vertretungen aus Handel, Eigentümern und Geschäftsbetreibern Lösungsansätze.
Nach meiner Einschätzung wird sich die Frage nach der Identität Reutlingens als Großstadt in der Metropolregion Stuttgart auch daran entscheiden, ob es uns gelingt, einem unserem Bedarf und unserer Größe angemessene neue Stadthalle zu realisieren. Wir alle wissen, dass die nächsten beiden Haushaltsjahre nicht geeignet sind, um in ein solches Großprojekt einzusteigen. Wir werden deshalb die Zeit nutzen, bis Mitte 2005 sorgfältig zu erarbeiten, in welcher Größe und zu welchen Kosten eine auf unsere Bedürfnisse zugeschnittene Stadthalle zu erstellen sein wird. In einer repräsentativen Bürgerbefragung soll auch die Bevölkerung die Gelegenheit erhalten, dazu Stellung zu nehmen.
Ich freue mich, dass der Gemeinderat dem von mir aufgezeigten Weg einstimmig zugestimmt hat.
Das Konzept für eine neue Stadthalle soll bekanntlich eingebunden werden in einen Kulturentwicklungsplan für Reutlingen, dessen Vorarbeiten wir im nächsten Jahr starten wollen. Ebenfalls im nächsten Jahr werden wir uns intensiv mit der Neustrukturierung der Gebäudebewirtschaftung beschäftigen, wie wir überhaupt die Verwaltungsreform engagiert weiter vorantreiben wollen. Die moderne Stadtverwaltung ist nämlich ohne Zweifel Standortfaktor, Initiator und Katalysator. Und nicht jede Aufgabe muss in den Mauern des Rathauses angesiedelt sein:
Dezentralisierung ist neben mehr Bürgernähe auch ein ernstzunehmender Kostenfaktor.
Wir können, meine Damen und Herren, weder als Stadtrat noch als Stadtverwaltung Arbeitsplätze schaffen. Motor auf diesem Gebiet ist bekanntlich die Wirtschaft. Damit sind wir Rat, Oberbürgermeisterin und Verwaltung nicht aus der Pflicht. Unsere Aufgabe ist es daher, die Rahmenbedingungen auf kommunaler Ebene mitzugestalten, damit dieser Motor sein maximales Drehmoment, seine optimale Leistung zur Wirkung bringen kann, um im Bild zu bleiben.
Deshalb hat kommunale Wirtschaftsförderung weiterhin einen hohen Stellenwert, und ich sage dies ganz bewusst auch vor dem Hintergrund der vorgeschlagenen Anhebung der Realsteuerhebesätze. Sie setzt eine gute Gesprächskultur voraus. Mit der erstmals initiierten Veranstaltung „Wirtschaft trifft Kommune“ und mit meinem angekündigten Besuch der Reutlinger Firmen auf der Hannover Messe 2004 sowie den Firmenbesuchen über das Jahr wird der alltäglich gewobene Gesprächsfaden verstärkt. Zur Verbesserung der Rahmenbedingungen gehören auch unbürokratische Regelungen, wie z. B. dass Taxis jetzt auf den Busspuren fahren dürfen. Und seit heute werden städtische Gewerbeimmobilien grundstücksscharf auf der Reutlinger Webside im Internet angeboten. Eine Vernetzung mit entsprechenden Angeboten Dritter soll in Kürze folgen. Auch das ist Wirtschaftsförderung.
Vor allem aber die Verbesserung der Verkehrserschließung und der Verkehrswege ist eine von der Wirtschaft immer wieder zu Recht geforderte Voraussetzung für die Zukunftsfähigkeit unserer Region. Ich setze mich deshalb nachdrücklich bei den entscheidenden Stellen für eine rasche Verwirklichung des Scheibengipfeltunnels ein. Bei diesem sind die Planungen bereits bekanntlich festgestellt, wohin gegen sich die Regionalstadtbahn noch in der Diskussion befindet.
Reutlingen wird trotz der prekären Haushaltslage nach Auffassung der Verwaltung auch im nächsten Jahr keine erheblichen Kürzungen bei den Investitionsmitteln vornehmen.
Durch die Auftragsvergaben leisten wir einen Beitrag zur Stabilisierung vieler kleinerer und mittlerer Firmen aus Stadt und Umland insbesondere im gebeutelten Baugewerbe. Das ist auch Arbeitsplatzsicherung.
Im sozialen Bereich gilt es, die gute Zusammenarbeit mit freien Trägern fort zu setzen, damit ein tragfähiges soziales Netz jene auffangen kann, die der Hilfe und Unterstützung bedürfen. In die Arbeit für und mit Kindern und Jugendlichen soll bekanntlich mit einem Fünftel des Zuschussbedarfes der größte Etatposten im Verwaltungshaushalt fließen. Und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf soll durch eine Optimierung der Betreuungsangebote erleichtert werden. An diesem Konzept arbeitet die Stadtverwaltung bereits seit einiger Zeit intensiv gemeinsam mit Kindergartenträgern und Eltern.
Die Zivilgesellschaft braucht engagierte Bürgerinnen und Bürger. Die Bereitschaft, sich aktiv und freiwillig einzubringen, sich für das Gemeinwohl einzusetzen, erwächst jedoch nicht aus dem Nichts. Bürgerschaftliches Engagement muss wahr- und ernst genommen werden, die Stadtverwaltung muss sich als Impulsgeber, Moderator und Ansprechpartner verstehen. Bürgernahe Verwaltung ist eine der Voraussetzungen, damit die Zivilgesellschaft gelingen kann. Mit der eingeführten Antwortfrist auf Schreiben an die Verwaltung von zwei Wochen dokumentiert die Stadtverwaltung ihr Selbstverständnis als Dienstleister. Mit meinen regelmäßigen Bürgersprechstunden und Stadtteilbegehungen suche ich das direkte Gespräch mit den Menschen auch vor Ort. Mit einem guten Start in die engere Zusammenarbeit mit dem Forum Lokale Agenda Reutlingen ist ebenfalls die Basis für die Kooperation mit vielen Bürgerinnen und Bürgern in Vereinen und Initiativen gelegt. Zu den konkreten Aufgaben der neu ausgerichteten Stabsstelle Bürgerengagement gehören neben einer Internetbörse, der Entwicklung weitergehender Formen der Anerkennung von freiwilligem Engagement usw. vor allem auch das Angebot eines „Azubi-Volonteering“ bei der Stadtverwaltung Reutlingen ab Januar 2004. Auszubildende der Stadtverwaltung werden künftig während ihrer Ausbildung eine Woche in caritativen und gemeinnützigen Einrichtungen verbringen. Dies erweitert nicht nur das eigene Blickfeld, sondern auch die sozialen Kompetenzen; neben einer guten Fachlichkeit sind wir genau auf dieses in einem Dienstleistungsunternehmen angewiesen.
Eine bürgernahe Verwaltung zeichnet sich zudem durch Transparenz aus. Seit meinem Amtsantritt werden deshalb bei allen Vorlagen, die dem Gemeinderat zur Entscheidung vorgelegt werden, auch die jährlichen Folgekosten aufgeführt. Seit Oktober sind alle Einladungen zu den öffentlichen Sitzungen des Gemeinderates und seiner Ausschüsse einschließlich der entsprechenden Beratungsvorlagen über die Homepage der Stadt im Internet abrufbar, jeweils ergänzt durch das Kurzprotokoll. Zur besseren Verständlichkeit wird für die Öffentlichkeit ein Faltblatt herausgegeben, welches den Haushaltsentwurf 2004 übersichtlich darstellt und erläutert. Damit die zum Teil sehr umfangreichen Vorlagen sowohl für die Mitglieder des Gemeinderates als auch für die Öffentlichkeit in ihrem Kern schneller erfasst werden können, wird dem Vorlagentext demnächst grundsätzlich eine kurze Zusammenfassung vorangestellt, die das Lesen erleichtert.
Im nächsten Juni sind Kommunalwahlen in Baden-Württemberg. Uns allen muss daran gelegen sein, dass die Parteien und Wählervereinigungen möglichst viele und geeignete Menschen ermuntern können, für die Gemeinderäte zu kandidieren. Die große Belastung, die ein Gemeinderatsamt mit sich bringt, wird nicht von allen als besonders attraktiv empfunden. Die Verwaltung wird deshalb dem Gemeinderat demnächst einen Vorschlag zur Änderung der Hauptsatzung unterbreiten, dessen Ziel es ist, die Beratungsarbeit auf seinen eigentlichen Kern der strategischen Entscheidungen zurückzuführen und dadurch zu verschlanken. Dann könnte für die Gremien des Gemeinderates ein Sitzungsbeginn gewählt werden, der es auch Berufstätigen ermöglichte, daran teil zu nehmen.
Sie sehen, die Arbeit wird uns nicht ausgehen. Die Ideen, wie wir Reutlingen weiter voran bringen können, werden uns hoffentlich ebenfalls nicht ausgehen. Trotz aller aktuellen Widrigkeiten, wie z. B. die Haushaltslage, übe ich mein Amt gern aus. Im Notfall könnte ich mich ja an den Ausspruch von Henry Kissinger halten - übrigens auch ein Tipp an meine Kollegen -:
„There cannot be an crisis next week, my schedule is already full.“
Meine sehr geehrten Damen und Herren, Politik bedeutet nach Max Weber das Bohren dicker Bretter. Dabei dürfen wir den Blick nicht nur auf die Probleme der Gegenwart richten, sondern müssen ebenso die Herausforderungen und Gestaltungsmöglichkeiten der Zukunft ins Visier nehmen. Die Städte in Deutschland werden sich innerhalb einer Generation stark verändern. Reutlingen wird hiervon keine Ausnahme machen.
Ab 2020 werden die geburtenstarken Jahrgänge in Rente gehen. Gleichzeitig werden die Städte wegen des Bevölkerungsrückgangs schrumpfen. Wir werden zu viele Kindergartenplätze, zu viele Klassenräume, zu viel Wohnraum, zu wenig Schüler zur Aufrechterhaltung aller Klassen in den Stadtbezirken und zu wenig Lehrkräfte zur Unterrichtung dieser Klassen haben, die Dichte der medizinischen Versorgung auf dem Land und des ÖPNV-Netzes nach dem Wegfall der Finanzierung über den Schülerverkehr werden sich nicht mehr aufrecht erhalten lassen, um nur ein paar Szenarien aufzuzeigen. Manche Wohngebiete werden sich à la longue entvölkern, manche stark altern.
Die Städte und Regionen werden sich untereinander in einer massiven nationalen und internationalen Konkurrenz befinden. Diese Konkurrenz zwingt sie dazu, sich selbst durch erfolgversprechende Imagepolitik wie Markenartikel zu positionieren. Europa wird immer mehr zu einem Europa der Regionen werden. Mit dem Regionalverband Neckar-Alb und der Zugehörigkeit zur Europäischen Metropolregion Stuttgart sind unsere Startpositionen gesetzt.
Die bereits angesprochene regionale Standortagentur, die sich im Dezember gründen wird, ist eine Antwort auf den bereits stattfindenden Wettbewerb unter den Regionen, die
Stadtmarketing Reutlingen GmbH ein Instrument für den interkommunalen Wettbewerb.
Es muss gelingen, uns von der gegenwärtigen Fixierung auf die Haushaltsnotkassen zu lösen und mit dem zu beschäftigen, was innerhalb der nächsten Generation in unseren Städten passieren wird. Ich habe deshalb bereits bei der Haushaltseinbringung davon gesprochen, einen Zukunftsplan „Reutlingen 2010/20“ zu entwickeln, an dem laufend fortgearbeitet werden müsste. In diesem soll der Weg in die Zivilgesellschaft, sollen die Rahmenbedingungen für die Kommunalpolitik, die sich nicht nur aus den genannten Entwicklungen, sondern ganz konkret auch aus den Perspektiven innerhalb und außerhalb der Region - ich denke hierbei auch an eine sich abzeichnende Fildermesse - analysieren und aufbereiten, damit Gemeinderat und Stadtverwaltung die Weichen stellen können. Um diesem Prozess einen möglichst breiten Horizont zu geben, habe ich mir vorgenommen, so etwas wie einen Fachbeirat, von mir „Perspektivenlabor“ genannt, einzurichten, in welchem ausgesuchte Persönlichkeiten mit entsprechendem Hintergrund die Zukunft Reutlingens denken dürfen.
Meine Damen und Herren, nach den ersten Monaten meiner Amtszeit bekenne ich gern, dass ich mich unvermindert auf die große gemeinsame Aufgabe freue. Reutlingen lohnt den vollen Einsatz. Ich will Ihnen eine kompetente, zuverlässige und weitsichtige Oberbürgermeisterin mit Bodenhaftung sein, zum Wohle unserer Stadt und ihrer Bürgerschaft. Bitte schenken Sie mir auch in meiner weiteren Amtsführung das große Vertrauen und jene Unterstützung, welche ich bereits bislang erfahren durfte. Wir können es gemeinsam schaffen.